Das Leben ist kein Ponyhof, zumindest nicht für die 17-jährige Aylin. Seit dem Tod der Mutter ist der Alltag der Deutschtürkin von Pflichten bestimmt: Sie muss sich um ihren kleinen Bruder kümmern, einkaufen, kochen, waschen und Vater Hassan entlasten, der verzweifelt versucht, als Tagelöhner seine Familie durchzubringen. Niemand nimmt wahr, wie es ihr geht. In der Schule wird das verschlossene Mädchen als „Psycho“ gegängelt und gemobbt, bis Aylin eines Tages der Kragen platzt: Sie schlägt zu und zwar richtig. Zur Strafe muss sie 50 Sozialstunden auf einem Reiterhof ableisten. Dort verändert die Begegnung mit dem Isländerpferd Hördur ihr Leben. Sie fast Zutrauen zu dem Tier und erweist sich schließlich auch als begabte Reiterin. Endlich kann Aylin ihren Traum von Freiheit und Unbeschwertheit leben und sie beginnt, für ihre Bedürfnisse zu kämpfen.
Hördur unterscheidet sich wohltuend von gängigen Ponyhof-Filmen. Statt verklärter Pferde-Romantik und erster Liebe, erzählt der Film authentisch von der Arbeit im Reitstall wie von der Lebenssituation des Mädchens, das – in jeder Hinsicht – beengt aufwächst. Der Film ist insofern ein
Coming-of-Age-Drama, in dem Aylins Entwicklung im Mittelpunkt steht. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Träumen und Alltag, der Freiheit in der Natur und der tristen Stadtwohnung und nicht zuletzt auch zwischen der deutschen und türkischen Kultur. Dies fängt der Film nicht nur kontrastreich und zuweilen etwas plakativ auf der Bildebene ein, sondern auch durch den lobenswert selbstverständlichen Einsatz beider Sprachen. Dabei setzt
Hördur die besondere Beziehung zwischen Aylin und dem Isländerpferd wiederholt stark in Szene, vor allem in den Traumsequenzen, die Aylins „Glück auf dem Rücken des Pferdes“ illustrieren und nachvollziehbar machen.
Ein deutschtürkisches Mädchen, das reitet? Nicht nur im deutschen Kino ist dies eine Seltenheit. Über die Gründe dafür kann im Unterricht – auch medienkritisch – diskutiert werden, wobei es weiterführend um die Themen Zugangschancen, Zusammenleben und Integration gehen kann. Vor allem bietet sich aber eine Beschäftigung mit der Hauptfigur an. Mit welchen Problemen sieht sich Aylin konfrontiert und wie gelingt es ihr schließlich, dass sie von ihrem Vater, aber auch von ihren Mitschülern als eigenständige Person erkannt und akzeptiert wird? Für jüngere Zuschauer kann der Schwerpunkt der Diskussion auf die Beziehung Mensch und Tier gelegt werden. Was zeichnet diese Beziehung aus? Die Schüler können dabei eigene Erfahrungen einbringen. Das Thema lässt sich auf filmsprachlicher Ebene vertiefen, indem die Geschichten von Aylin und dem Hengst Hördur verglichen und auf Gemeinsamkeiten hin untersucht werden.
Dieser Text ist eine Übernahme des
VISION KINO-FilmTipps.
Autor/in: Kirsten Taylor, 25.09.2015, Vision Kino 2015.
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