Belle ist eine weiße Pyrenäenberghündin, die schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht hat und sich alleine in den französischen Hochalpen herumtreibt. Sebastian ist ein etwa siebenjähriger hellwacher Waisenjunge, der nicht viel redet und lieber für sich bleibt. Er wächst bei einer schönen Bäckerin und einem ruppigen Hirten auf, die ihm erzählt haben, seine (verstorbene) Mutter sei "hinter den Bergen", "in Amerika" – eine Notlüge, die sich bald schon nicht mehr aufrechterhalten lässt. Als der Hund und das Kind sich eines Tages auf einer Almwiese begegnen, fassen sie Vertrauen zueinander und eine tiefe Freundschaft entsteht. Von ihrer Verbundenheit sowie von den Abenteuern, die die beiden miteinander erleben, erzählt Nicolas Vanier in
Belle & Sebastian.
Adaption einer Buch- und Fernsehserie
Der Film basiert auf der in den 1960er-Jahren populären, französischen Fernsehserie nach Cécile Aubrys gleichnamiger Kinderbuch-Reihe, die zudem in den 1980er-Jahren in Japan als mehrteiliger Anime adaptiert wurde. Für die Kinoverfilmung des Stoffes hat Vanier die Handlung von den 1960ern ins von Deutschland besetzte Frankreich des Jahres 1943 verlegt, in die Zeit von Sommer bis Winter. Diese zeitliche Verdichtung gibt Vanier – der seine Karriere als Naturdokumentarfilmer begann – nicht nur die Gelegenheit, den spektakulären Drehort in seiner Schönheit und jahreszeitlichen Pracht zu zeigen. Zudem vermittelt er einen Eindruck vom Leben in den Bergen, das zwar mitunter beschwerlich ist, doch im Einklang mit der Natur die Erfahrung von Sinnhaftigkeit bietet.
Konzentration auf einen Zeitraum
Die Konzentration auf einen überschaubaren Zeitraum hat gegenüber der episodischen Struktur der Fernsehserie den Vorteil, dass auf narrativer Ebene eine traditionelle Entwicklung forciert werden kann. Die einzelnen Abenteuer stehen nicht für sich, sondern im Dienste eines übergreifenden Spannungsbogens und zielen damit auf die Lösung des grundlegenden Konflikts hin. Durch die Verankerung der Handlung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges werden die beiden im Zentrum stehenden Themenkomplexe – "Freundschaft zwischen Tier und Mensch" und "Mut, Vertrauen und Loyalität" – um die politische Dimension von französischer Résistance und Fluchthilfe über die Alpen in die Schweiz erweitert. Das Geschehen wird damit zudem dramatisiert, was auch einem älteren und die jungen Zuschauer/innen begleitenden Publikum entgegenkommt.
Märchenhaftes und Zeitgeschichte
Denn nicht nur sieht Sebastian seine geliebte Belle von den Bewohnern/innen des kleinen Dorfes bedroht, in dem er lebt. Der frei umherstreifende, "wilde" Hund gilt ihnen als "die Bestie", die in der Gegend Schafe reißt und daher getötet werden muss. Bedroht sind auch die Menschen selbst; nämlich von im Dorf stationierten deutschen Soldaten, deren Aufgabe es ist, jene Fluchthelfer/innen aufzuspüren, die vom Nazi-Regime Verfolgte durchs Hochgebirge in die Schweiz führen. Mit dieser Verankerung im historisch Faktischen – zahlreichen Menschen gelang in den 1940er-Jahren dank des mutigen Einsatzes der Alpenbewohner/innen die Flucht in die Eidgenossenschaft – verleiht Vanier dem märchenhaften Kinderbuchstoff eine gewisse Realitätsnähe, jedoch ohne die Grenzen des Abenteuerfilmgenres zu verlassen.
Klassische Dramaturgie und Emotionalisierung
Opulent in Szene gesetzt und mit Liebe zum Detail der porträtierten, naturverbundenen Lebensweise, folgt
Belle & Sebastian einer klassischen Dramaturgie: Auf die Exposition (Kind und Hund lernen sich kennen) folgt eine erste Krise (die Männer des Dorfes veranstalten eine Treibjagd auf den Hund), sodann eine vorläufige Beruhigung (der Hund gewinnt das Vertrauen der Erwachsenen), was schließlich in einer kathartischen Zuspitzung gipfelt (Flucht vor deutschen Soldaten und Rettung in letzter Sekunde). Die Musik, die das Ganze untermalt, verstärkt den jeweiligen emotionalen Gehalt der Szene und versucht solcherart die Gefühle des Publikums zu lenken. Auch den Figuren eignet etwas Holzschnittartiges an: In der Rolle des großväterlichen Hirten César spielt Tchéky Karyo den Inbegriff von "harte Schale, weicher Kern". Der Dorfarzt, der jüdischen Flüchtlingen den Weg in die Schweiz weist, ist der Inbegriff von Ehrenhaft- und Gutherzigkeit, wie überhaupt die gesamte Dorfbevölkerung dem Bilderbuch entsprungen scheint. Alle haben es faustdick hinter den Ohren und halten zusammen, wenn es gegen die Deutschen geht, die jedoch nicht als ausschließlich widerliche "boches", sondern durchaus als ambivalente Protagonisten dargestellt sind. Zwischen Leutnant Peter und der hübschen Bäckerin darf sich sogar so etwas wie gegenseitige Sympathie entwickeln.
Ein unterhaltsamer Abenteuerfilm
Letztlich macht
Belle & Sebastian all dies – zusammen mit der handwerklichen Perfektion, dem Respekt vor den Genreregeln und der Erfüllung der Erwartung an eine klassische Narration –, zu einem gelungenen Unterhaltungsfilm. Zwar lautet eine alte Filmemacher-Weisheit, man solle niemals mit Kindern oder Tieren drehen, doch der kleine Félix Bossuet, der in der Rolle Sebastians sein Schauspieldebüt gibt, und die mächtige weiße Hündin, die ihm zur Seite steht, bilden ein starkes emotionales Zentrum. Aus ihrer gemeinsamen Weltsicht wird die Geschichte erzählt, sie sind das Herz des Films: zwei verwaiste Wesen, die einander Trost spenden und helfen, das Vertrauen in jene zurückzugewinnen, die sie verlassen und/oder betrogen haben: die Erwachsenen. Und so findet Belle schließlich wieder Anschluss an Menschen, die sie, wie es ihrer Natur entspricht, beschützen kann, und Sebastian lernt, mit der Wahrheit über seine Herkunft umzugehen.
Autor/in: Alexandra Seitz, freie Journalistin und Filmkritikerin, 11.12.2013
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