Rebellen ohne Chance
Zwei Filme über den Verlust des Individualismus
Eine extrem bedrohliche Situation: Ein Revolverlauf steckt im Mund eines Mannes. Er scheint von einem anderen Mann mit dem Tod bedroht zu werden. Am Ende des Films weiß der Zuschauer, dass dieser Zweikampf nur im Kopf stattfand: Ein gespaltenes Individuum ringt darum, welcher Bewusstseinssplitter die Dominanz des geistigen Systems behalten kann. David Finchers Fight Club handelt davon, wie gefährdet das Individuum am Beginn des 21. Jahrhunderts ist.
Amerikas Kampfsport Nr.1, der Football, lebt davon, dass das Individuum für die Dauer eines Spiels im Team aufgeht. Es hat sich der Taktik unterzuordnen, mit der die Trainer Spielzüge leiten. Andererseits erzeugt American Football Helden. Der Quarterback, der ein Team zum Sieg führt, kann unsterblich werden. Die Ruhmestafeln der Football-Geschichte sind mit legendären Namen gespickt. Wenn das empfindliche Gleichgewicht von Individuum und Gruppe gestört wird, gerät die Idee des Spiels in Gefahr. Oliver Stones Film An jedem verdammten Sonntag setzt Schlaglichter auf die Verwandlung von American Football durch die aktuelle Kommerzialisierung des Profisports und durch den Egoismus als Lebensprinzip.
Beide Filme reagieren mehr oder weniger bewusst auf das Verschwinden der Individualität als Wert in der sozialen Entwicklung zur Jahrtausendwende. Diese Entwicklung verläuft nicht eindimensional, sondern komplex. Einerseits nimmt das Verlangen nach Selbstständigkeit und Autonomie zu. Andererseits kollidiert es mit mangelndem Mut zu nicht abgesicherter Meinung und eigenwilligem Auftreten. Zwar möchte man, zum Beispiel in der Wahl der Kleidung, einen eigenen Stil entwickeln, doch kommt dieser Stil nicht ohne Rückgriff auf oktroyierte Markenartikel aus. Das Individuum zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat nicht jene widerständige Autonomie zum Ziel, mit der die Generation von 1968 gegen Normen aufbegehrte. Es setzt sich vielmehr selbst aus normierten Vorgaben – etwa über die Werbung – zusammen und variiert diese zu einem individuellen Schein. Wer Moden verweigert, stellt sich außerhalb des akzeptierten Gruppenverhaltens. Dessen Ideal ist der Konformist.
Die Hauptfigur von Fight Club ist als Mitglied dieses Systems schon dadurch gekennzeichnet, dass sie keinen Namen hat und Single ist. Sie hat einen guten Job, ein dem Zeitgeschmack entsprechend eingerichtetes Appartement, bestimmte Ess- und Freizeitgewohnheiten, die an Markenprodukten orientiert sind. Mit solchen Voraussetzungen definiert die Gegenwartsgesellschaft Glück. Wenn die Hauptfigur gegen diese Voraussetzungen rebelliert, muss sie zwangsläufig als "unnormal" erscheinen. Das Aufbegehren des namenlosen Erzählers nach seiner Begegnung mit Tyler Durden, der sein Außenseitertum pflegt, wirkt zunächst wie kleine Nadelstiche in die soziale Friedhofsruhe: Pornoszenen, die in Familienfilme einmontiert werden, Urin in der Suppe des Gourmetrestaurants. Später macht sich die neu gewonnene Individualität vor allem an der ungefilterten Erfahrung von Körperlichkeit, Schweiß und Schmerz im Fight Club fest, in dem sich Männer zur Selbsterfahrung prügeln. In dieser Selbsterfahrung liegt allerdings die Gefahr einer faschistoiden Selbstüberhöhung. David Fincher spielt den derzeit grassierenden Egoismus gegen eine bei sozialen Minderheiten manchmal ebenfalls auftretende, gewalttätige Egozentrik aus. Kein Wunder, dass das Subjekt, ungeübt in individueller Entscheidungsfreiheit, schließlich in zwei schizophrene Teile zerbricht.
Die Verschiebung der Werte vom Individualismus zum Egoismus hat Oliver Stone in den beiden Quarterbacks des fiktiven Football-Teams "Miami Sharks" personifiziert. Jack Rooney ist der klassische individuelle Held, der bereit ist, sich für das Team zu opfern und daraus sein Selbstwertgefühl ableitet. Er wird nach Verletzung abgelöst durch den jungen Willie Beamen, der das Team benutzt, um berühmt zu werden. Dieser Ruhm ist aber nicht selbstgenügsam. Er sichert Beamen vielmehr Werbeverträge, Luxusleben und erotische Ausstrahlung. Das heißt, Ruhm ist vor allem ein Marktwert in dem kommerziellen System, zu dem Sport derzeit umstrukturiert wird. Voraussetzung für diesen Marktwert ist der Erfolg. Das bekommt der Trainer Tony D'Amato zu spüren. Nach einer Serie von Niederlagen gelten alle individuellen Beziehungen, die er zu seinem verstorbenen Arbeitgeber hatte, nichts mehr. Seine neue Chefin sieht ihn nur noch als schwer verkäufliche Ware, die abgestoßen werden muss. Das ist der Ausgangspunkt seiner Rebellion.
Zwei Hollywood-Filme reagieren als Seismografen auf gesellschaftliche Entwicklungen. Oliver Stone löst den Konflikt traditionell: Willie Beamen wird durch das Team sozialisiert und der Erfolg stellt sich wieder ein. David Fincher ist trotz eines scheinbaren Happy Ends düsterer. Sein Film endet mit der terroristischen Zerstörung der Kommerztempel von Banken und Geschäftszentralen. Stone zähmt die Rebellion, Fincher lässt sie explodieren. Wir haben die Wahl.
"Fight Club", USA 1999. Regie: David Fincher, mit Brad Pitt, Edward Norton, Helena Bonham Carter u. a.
"An jedem verdammten Sonntag", USA 1999. Regie: Oliver Stone, mit Al Pacino, Dennis Quaid, Kamie Foxx u. a.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 08.12.2006