Hintergrund
Cool und Clean
Kino-Specials zum Thema Drogen/Abhängigkeit
Kino-Specials zum Thema "Voll Cool" laufen seit vielen Jahren überaus erfolgreich in der ganzen Bundesrepublik . Kino-Specials sind Veranstaltungen im Kino. Eine Schulklasse, eine Gruppe junger Leute oder das Publikum einer Abendvorstellung wird eingeladen, sich mit dem Film und seiner Geschichte genauer zu befassen und miteinander zu diskutieren. Oft beteiligen sich bei diesem Thema Drogenberatungsstellen oder/und Drogenberatungslehrer. In Baden-Württemberg beispielsweise gab es hierzu Kino-Specials in fast 30 verschiedenen Orten. Hier kooperierten viele Präventionsabteilungen der Polizei. Inzwischen gibt es zu einigen Filmen auch Material für die Nachbereitung im Unterricht, mit Lektionen zur Filmsprache wie zum Thema. Erhältlich beim
INSTITUT FÜR KINO UND FILMKULTUR, Köln (s. a. Button "Kino-Specials" im linken Teil dieser Website).
Das Allgemeine und das Besondere
Filme erzählen Geschichten von Einzelpersonen. Alles andere geht schlecht. Das Allgemeine kann nur im Besonderen erscheinen, das ist ein Axiom der spezifischen Erzählstruktur des Mediums. Große Bewegungen, gesellschaftliche Veränderungen, Revolutionen, Kriege, das Gegeneinander verschiedener Interessen, politische Entwicklungen, soziale Prozesse: Filme können davon nur durch die Perspektive eines Helden, eines Protagonisten erzählen – jedenfalls bei den guten Filmen. Das führt auch zu den Typisierungen, zu Vertretern und Stellvertretern, in denen sich Allgemeines bündelt, damit innerhalb von 90 Minuten überhaupt ein Erzählfluss zustande kommt.
Trainspotting
Individuelle Schicksale
Auch für Filme zum Thema Drogen/Abhängigkeit hat das Folgen. Filme können nicht von den Drogenabhängigen sprechen, oder von dem Konsum oder der Droge. Filme können nicht allgemein den Zeigefinger gegen eine ganze Gruppe von Menschen und ihr Verhalten erheben. Filme können das nur durch die Erzählung eines oder einiger Einzelschicksale. Sie müssen vom Individuum sprechen, mit ihm beginnen, mit seiner besonderen Situation, seiner besonderen Lage, seinen Träumen und Sehnsüchten, seinem Stoff, seiner speziellen Konsumsituation. Und damit steht das Verfahren, von dem oft in der Prävention ausgegangen wird, auf dem Kopf, oder es steht auf den Füßen, je nach dem.
Erwartungsvoller Drogeneinstieg ...
Der Einzelne beginnt mit seiner Entscheidung für den Konsum oder mit seinem sich Treiben lassen in eine Abhängigkeit mit positiven Gefühlen voller Erwartungen und Hoffnungen. Sie sind immer auch Teil eines Umfeldes: Jim Carroll (
Jim Carroll –In den Straßen von New York macht es gemeinsam mit seinen Freunden. Es bedeutet Abenteuer und Gemeinsamkeit. Renton aus
Trainspotting meint am Anfang: "Nimm den besten Orgasmus mal Tausend und du bist nicht einmal nahe dran". So schön ist der Konsum. Der Film zeigt auch die Folie auf der Renton das sagt: Trostlosigkeit, Arbeitslosigkeit und Armut in Edinburgh. Wer Drogen nimmt, nimmt sie nicht, um mit der Nadel im Arm auf einer Bahnhofstoilette zu sterben. Wer Drogen nimmt, legale oder illegale, verspricht sich etwas davon. Filme müssen das zeigen, müssen diesen Ausgangspunkt beschreiben, sonst haben sie keine Geschichte. Der entscheidende Punkt ist: Die Hoffnung erfüllt sich in den meisten Fällen. Der Stoff bringt, was erwartet wurde. Abenteuer, Rausch, Gelöstheit, Schlaf, das Gefühl von Gemeinsamkeit und Wärme, die Hingabe an den Augenblick, das Gefühl.
The Doors
... und pädagogische Erwartungshaltungen
Filme die sich darauf einlassen und dieses Moment des ersten Glücks zeigen, ernten sofort Kritik. Der Drogenkonsum soll von allem Anfang an als etwas Schreckliches, Furchtbares dargestellt werden. In Großbritannien überlegte man
Trainspotting zu verbieten. Dabei ist er einer der härtesten Antidrogenfilme, die man sich vorstellen kann. Filme müssen von der Biographie ausgehen. Das heißt, sie müssen da beginnen, wo es tatsächlich anfängt. Sie können dann aber auch zeigen, wie viele weitere Entscheidungen dazu gehören, wie die Abhängigkeit aussieht, wie gnadenlos die Droge die Freiheit des Einzelnen auslöscht und ihn zerstört. Filme zeigen auf der Basis der Einzelgeschichte, wie schwer es ist sich zu lösen und wie schrecklich die Familie und die Angehörigen leiden. (
When a Man Loves a Woman).
Zeitgeschichtliche Bezüge
Wenn jeder Drogenkonsum seine Geschichte hat, dann hat er auch seine Zeiten. In Easy Rider sind die 60er Jahre porträtiert. Damals hatte der Konsum bestimmter Drogen in der Jugendkultur eine definierende Kraft: Wer bewusstseinserweiternde Stoffe nahm, gehörte zum Projekt "neuer Mensch". Filme wie Easy Rider oder The Doors zaubern die Zeit auf die Leinwand und lassen so einen zweiten Vergleich zu: den mit dem Zeitgeist. Beides zusammen, der Vergleich der Geschichte und der Erlebniswelt des Protagonisten mit meiner Welt als Zuschauer und der Vergleich der Zeiten macht das Besondere eines Kino-Specials zu diesem Thema aus. Diese Reihe gehört nicht zufällig zu den erfolgreichsten Reihen des Instituts für Kino und Filmkultur bzw. der Bundeszentrale für politische Bildung.
Autor/in: Horst Walther, 21.09.2006