Die Welt des Kinos scheint in Aufruhr, der Film wird – per Computertechnik – neu "animiert", Dingen eine Seele eingehaucht, so realitätsnah, fotorealistisch und "gefühlsecht" wie nie zuvor. Kaum ein Filmfestival, das sich derzeit nicht mit der Zukunft der Bilder bzw. der digitalen Bildproduktion beschäftigt, das Filmfest Hamburg 2001 hat sogar Preisgelder in nennenswerter Höhe für den besonderen Einsatz digitaler Techniken im Film ausgeschrieben.
Final Fantasy ist nun der erste Film, der dank modernster Hochleistungstechnologie vollständig im Computer entstanden ist, zugleich eine fotorealistische Wiedergabe des Menschen aufweist mit dem Anspruch einer kompletten Wirklichkeitssimulation, wenn auch nur im Science-Fiction-Genre. Kaum in den USA gestartet, macht man sich dort auch schon vorsorglich Gedanken über die Zukunft des Schauspielerberufes. Regisseur Andrew Niccol plant gar einen Spielfilm mit realen Darstellern, der sich das delikate Thema des virtuellen Realitätsersatzes von Schauspielern vornimmt.
Wenige Monate vor
Final Fantasy startete mit
Shrek - Der tollkühne Held ein anderer Film, der ebenfalls für sich in Anspruch nimmt, realistisch wirkende menschliche Figuren im Computer erschaffen zu haben, ohne allerdings die Wurzeln des klassischen Animationsfilms zu leugnen. Steven Spielberg, der seinerzeit mit
Jurassic Park einen Meilenstein in der Geschichte der computergenerierten Realanimation gesetzt hatte und die Aufregung über virtuelle Darsteller für weit übertrieben hält, verfilmte mit
A. I. - Künstliche Intelligenz ein Lieblingsprojekt von Stanley Kubrick, das dieser für Jahrzehnte zurückgestellt hatte, weil die dafür erforderlichen künstlichen Welten damals noch nicht perfekt genug produzierbar waren. In diesem Film geht es um einen künstlich geschaffenen Roboterjungen, der auf Liebe programmiert ist und auch als Maschine von seinen "Eltern" verstanden und geliebt werden möchte.
Die computergenerierte Technik wird immer ausgefeilter. Bei
Shrek beispielsweise standen den Machern über 800 % mehr Steuerungsmöglichkeiten für die Ganzkörperanimation zur Verfügung, als noch vor sechs Jahren. Ein Ende der Entwicklung ist nicht abzusehen, die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt und nur über die vorhandenen Rechnerkapazitäten in ihre Schranken verwiesen. Auch die besten Digitaleffekte und Programmierungen können freilich eine tragfähige Geschichte niemals ersetzen. Aber sie können unsere Wahrnehmung von der Wirklichkeit weiter verändern und unsere vergleichsweise archaisch angelegten Gefühlswelten durcheinanderbringen. Der Glaube an die eine, für alle verbindliche Wirklichkeit allerdings ist längst verschwunden. Sie wird immer konstruiert – und auch darüber kann man sich verständigen.
Eigentlich ist die Diskussion um künstliche Wesen und Welten uralt. Sie wurde bereits im Mythos des aus Lehm geschaffenen "Golem" aufgegriffen und von den Romantikern (E.T.A. Hoffmann) lange vor der Erfindung des Computers in der Angst vor und gleichzeitigen Faszination für den Maschinenmenschen weitergeführt. Durch den technischen Fortschritt hat diese Diskussion aber eine neue Dimension erhalten. Die klare Trennung von "echt" und "künstlich" ist hinfällig, wenn sich virtuelle Welten für alle gleichermaßen sichtbar schaffen lassen und – zumindest aus der Sicht von Literatur und Film – Maschinenmenschen eines Tages dem Menschen vergleichbare Emotionen und Bewusstseinszustände haben könnten.
Eher irreal wirkt die öffentlich geäußerte Befürchtung, virtuelle Figuren im Film könnten die Kinostars bald überflüssig machen, nur weil sie vom Prinzip her universeller konstruierbar sind. Wichtiger ist die alte Frage, ob und wie sich die neuen Technologien für andere Filme und neue Erzählkonzepte nutzen lassen, was mit der Welt der Bites und Bytes transportiert wird, welche Botschaften die Filme haben und wie stark wir damit manipuliert werden. Wofür stehen die Filmemacher und was möchten sie dem Publikum mit der Konstruktion künstlicher Welten und virtueller Realitäten vermitteln?