Hintergrund
Neuinfektionen bleiben konstant - Aids ist immer noch ein Risiko
Szene aus dem Film "Fickende Fische"
Es ist kaum vorstellbar, dass Kondome vor 15 Jahren noch verschämt "Pariser" hießen und beim Drogisten unter der Ladentheke verkauft wurden. Heute kennen nach Untersuchungen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) vier von fünf Bundesbürgern die "Mach's mit"-Plakate mit den schrumpeligen Plastikhütchen. Aids ist im öffentlichen Bewusstsein stärker verankert als Harald Schmidt oder Stefan Raab: 98 Prozent der 16- bis 20-jährigen Jugendlichen wurden im Jahre 2001 von den unterschiedlichen Medien der Aids-Aufklärung erreicht. Das ist fast nicht mehr zu steigern.
Grenzen der Aufklärung
Nimmt man die nackten Zahlen, scheint die Kampagne aus dem Jahr 1997, die vor 15 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Motto "Gib Aids keine Chance" begonnen hat, aber nur begrenzt ihre Wirkung zu tun: Nach dem jüngsten Halbjahresbericht vom 9. August 2002 des Berliner Robert-Koch-Instituts (RKI) ist die Zahl der neuen HIV-Infektionen in Deutschland in den letzten Jahren weitgehend konstant geblieben.
Deutschland-Statistik
Für das Jahr 2001 wird mit knapp 2.000 HIV-Neuinfektionen, ungefähr ein Viertel davon bei Frauen, gerechnet. Da auf Grund der besseren Therapiemöglichkeiten weniger Menschen tatsächlich an Aids erkranken und sterben, erhöht sich derzeit die Zahl der lebenden HIV-Infizierten pro Jahr um etwa 1.000. Nach Schätzungen des RKI leben in Deutschland rund 38.000 Menschen mit dem HIV-Virus. Die weitaus überwiegende Anzahl sind Männer (29.500). Außerdem sind 8.300 Frauen und weniger als 400 Kinder betroffen. Bei etwa 5.000 der Infizierten ist die Erkrankung zum Vollbild Aids fortgeschritten. 600 Menschen sind im Jahre 2001 an der Krankheit gestorben. Seit Beginn der Epidemie rechnet das RKI mit rund 20.000 Toten in Deutschland (bei insgesamt 60.000 Infizierten). Die Chance, bei einer Infektion an Aids zu sterben, liegt also bei 1:3.
Wer infiziert sich?
Interessant sind die Wege der Neuinfektion. Unter den rund 2.000 im Jahre 2001 mit dem HIV-Virus Neuinfizierten haben sich 50 Prozent bei homosexuellen Kontakten angesteckt. 21 Prozent der Infektionen stammen aus Kontakten mit Menschen in so genannten Hochprävalenzgebieten. Damit sind Regionen wie Afrika, Südostasien und neuerdings auch Osteuropa und Russland gemeint. Hier ist Aids in der allgemeinen Bevölkerung wesentlich stärker verbreitet als in den westlichen Industrieländern (siehe Übersicht der UNAIDS). 18 Prozent der Neuinfektionen gehen auf heterosexuelle Kontakte zurück, zehn Prozent auf Drogenmissbrauch.
Szene aus dem Film "Fickende Fische"
Gummi-Gewohnheiten
Was lässt sich daraus schließen? Die Zahlen der BZgA über die Häufigkeit des Gebrauchs von Kondomen deuten darauf hin, dass möglicherweise immer noch ein Stück Sorglosigkeit beim Sexualverkehr mitspielt. So geben nur knapp die Hälfte der jüngeren Alleinlebenden mit Sexualkontakten an, dass sie regelmäßig bzw. immer Kondome verwenden. Von denjenigen, die im vergangenen Jahr spontane Sexualkontakte hatten, benutzten 48 Prozent immer Gummis (1989 waren das nur 23 Prozent). Nur im Urlaub scheinen die jungen Leute vorsichtiger zu sein: Bei sexuellen Kontakten mit unbekannten Partnern im Urlaub steigt der Anteil derer, die immer Kondome verwenden, von 40 Prozent im Jahre 1990 auf 79 Prozent im Jahre 2001.
Im Zeichen der Globalisierung
Panik ist also nicht angebracht, aber Vorsicht – auch bei "Heteros". Das Gefühl "Mir kann sowieso nichts passieren, ich bin ja nicht schwul", trügt. Gerade weil unsere Gesellschaften immer globaler werden, weil sich Menschen aus allen Ländern und Regionen mischen, werden auch Infektionskrankheiten zu einer globalen Erscheinung. Wer meint, sich im Bekanntenkreis, in seiner Gruppe, in seiner Region nicht schützen zu müssen, kann schnell eines Besseren belehrt werden. Schon ein etwas freizügiger Urlaub in einem Land, in dem Aids stark verbreitet ist, ein Krankenhausaufenthalt, bei dem eine infizierte Blutkonserve eingesetzt wurde, kann das Virus einschleppen. Aber wer fragt im Sturm der Gefühle schon immer nach allen Details? Weitere Informationen: www.aidshilfe.de (Homepage der deutschen Aidshilfe) www.rki.de (Robert Koch Institut) www.bzga.de (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung)
Autor/in: Volker Thomas, 21.09.2006