Mit
Promises (Versprechen, Hoffnung, Zuversicht) erhielt der Film einen programmatischen Titel, der 2003, drei Jahre nach seiner Fertigstellung und angesichts der politischen Realität im Nahen Osten anachronistisch oder reichlich optimistisch anmutet. Dennoch ist dieser einfühlsame Dokumentarfilm aktuell; die Konflikte, die der verfahrenen Situation zu Grunde liegen, sind dieselben geblieben. Die Staatsgründung Israels 1948, die für die Juden nach ihrer zweitausendjährigen Diaspora, Verfolgung und schließlich dem Holocaust einen hoffnungsvollen Neuanfang markierte, war für 700.000 Palästinenser "Al-Nakbah", die Katastrophe: Vertreibung, Verlust der Heimat, Flüchtlingslager, Armut.
Kinder als Spiegel der Gesellschaft
Betroffen durch Steine werfende und "Krieg spielende" palästinensische Kinder während der ersten Intifada (1988-93) starteten die drei Regisseure B.Z. Goldberg, Justine Shapiro und Carlos Bolado ein ungewöhnliches und in dieser Konsequenz bislang nicht realisiertes Projekt: Sie näherten sich dem israelisch-palästinensischen Konflikt aus der Perspektive von Kindern zwischen neun und dreizehn Jahren, in deren Lebensalltag sich die israelisch-palästinensische Gesellschaft spiegelt. Gespräche mit erwachsenen Interviewpartnern hätten nicht authentischer sein können. Die vier israelischen und drei palästinensischen Kinder leben in und um Jerusalem, maximal 20 Autominuten voneinander entfernt und doch in ganz unterschiedlichen Welten. Die Kinder stammen aus ganz verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten: Siedler, Ultraorthodoxe und Liberale auf jüdischer Seite, Sympathisanten der Hamas und Vertriebene, die im Flüchtlingslager leben, auf der palästinensischen Seite.
Das Vertrauen der Kinder
Nach der behutsamen Annäherung an die kindlichen Protagonisten und ihre Lebenswelt gewinnt der Interviewer B.Z. Goldberg offensichtlich deren uneingeschränktes Vertrauen, so dass sie ungezwungen und unverblümt über ihre alltäglichen Sorgen, ihre Ängste und Wünsche, ihre Weltsichten und vor allem über ihre "Feinde", die Israelis bzw. die Araber sprechen.
Israelische Weltbilder
Yarko und Daniel, begeisterte Volleyballspieler, stammen aus einer liberalen, säkularen Familie. "Ich denke dies ist unser Land, aber es ist auch ihres. Wenn Extremisten sagen, die anderen sollen hier nicht leben, ist das falsch ..." Doch jeden Morgen überkommt sie Angst wenn sie den Bus zur Schule nehmen müssen: "Wenn ich in den Bus steige, warte ich immer auf die Explosion, wenn ich im Zentrum bin, kann ich's kaum erwarten, dort weg zu kommen." Shlomo dagegen, dessen Familie aus den USA in die Altstadt Jerusalems gezogen ist, um sich dort ganz der Praktizierung ihres Glaubens und dem Studium der Heiligen Schriften zu widmen – ein Privileg, das den Ultraorthodoxen vom israelischen Staat gewährt wird und auch die Suspendierung vom Militärdienst beinhaltet – fühlt sich sicher in der Nachbarschaft mit den Arabern, zu denen er aber keinen Kontakt hat: "Saddam Hussein würde niemals die Altstadt Jerusalems bombardieren, denn da ist die AI Aqsa Moschee und das ist auch sein heiligster Platz." Moishe lebt mit seiner Familie in einer von Arabern umgebenen Siedlung. Für ihn wurde Israel den Juden von Gott versprochen und von den Arabern geraubt. "Wenn ich meine Zukunft selbst bestimmen könnte, würden alle Araber raus fliegen und die Juden würden den Tempel wieder erbauen."
Palästinensische Weltbilder
Die Welt dieser beiden religiösen Juden ist für die Zwillinge Daniel und Yarko fast so fremd wie die von Mahmoud, dem Sohn eines Kaffeeladenbesitzers aus dem arabischen Viertel der Jerusalemer Altstadt. Dieser sympathisiert mit der Hamas und der Hisbollah: "Sie töten Frauen und Kinder, aber sie tun es für ihr Land. Je mehr Juden wir töten, desto weniger gibt es – bis es bald überhaupt keine mehr gibt." Wie Moishe sein Recht auf das Land Israel von der Thora ableitet, so bezieht Mahmoud sich mit derselben Logik auf den Koran. Als er erfährt, dass B.Z., den er als Freund akzeptiert hat, Jude mit einem israelischen Pass ist, verliert er für einen Moment die Fassung. In wieder einer anderen Welt, im Flüchtlingslager Deheishe, leben Sanabel und Faraj, palästinensische Flüchtlingskinder der dritten Generation. Ihnen ist der Zugang nach Jerusalem verwehrt. Sanabels Vater sitzt seit zwei Jahren in einem israelischen Gefängnis, da er als Journalist und lokaler Führer der "Front of the Liberation of Palestine" als Sicherheitsrisiko gilt. Sanabel findet ihre palästinensische Identität im Folkloretanz und plädiert für gegenseitiges Verständnis und Toleranz. Anders Faraj: Prägend für ihn war die Erschießung seines Freundes durch die Israelis, als er fünf Jahre alt war. "Ich wollte den Soldaten in zwei Hälften schneiden, ihn erschießen oder in die Luft sprengen ... Ich habe auch mit Steinen geschmissen. Jeder sollte das tun."
Gesinnungswandel
Mit Hilfe des Regisseurs fährt Faraj mit seiner Großmutter zu dem Dorf, aus dem diese 1948 geflohen war. Dort formuliert er, was viele Palästinenser denken: "Es ist mein Recht zurückzukehren, ich will zurück. Und ich glaube, wenn nicht meine Generation, dann wird es die nächste sein, die Palästina befreit." Er bewahrt den Schlüssel des zerstörten Hauses seiner Großeltern für seine Kinder und Kindeskinder auf. Doch es ist Faraj, bei dem die Freundschaft mit B.Z. Goldberg wohl die größte Veränderung auslöst: Er möchte Daniel und Yarko treffen und lädt sie zu sich ins Flüchtlingslager ein. Einen ganzen Tag verbringen die Kinder miteinander, essen und spielen zusammen, und am Schluss wird Bilanz gezogen von dieser für alle ersten Begegnung mit dem "Feind". Das Verständnis für die andere Seite ist gewachsen, aber die politischen Barrieren verhindern die Entwicklung dieser neuen Freundschaften. In einem der letzten Bilder scheint ein brennender Autoreifen, der sich auf die Kamera zu bewegt, die nächste Intifada zu antizipieren.
Empathie in eine Tragödie
Der Film bietet keine Analyse des Konflikts und keine Lösungsmodelle an. Stattdessen gelingt es ihm, mit prägnanten Hintergrundinformationen und parteiloser Empathie, Stereotypen schrittweise zu individualisieren und so in einzigartiger Weise die Komplexität der menschlichen Tragödie im Nahen Osten zu vermitteln.
Autor/in: Petra Maier-Schoen, 01.03.2003