Hintergrund
Menschenhandel oder: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." (GG, Art. 1)
Bevor Menschen in die Netze des Menschenhandels geraten, haben sie in der Regel bereits in vielfacher Form Verletzungen ihrer menschlichen Würde erfahren. Unzumutbare Lebensbedingungen, katastrophale ökonomische Verhältnisse und die systematische Missachtung der Menschen- und Bürgerrechte bereiten den Boden, den die Menschenhändler für ihre Versprechungen benötigen. Die Opfer jedoch ahnen nicht einmal, dass sie zu einem Handelsobjekt erniedrigt und in den Zielländern abhängig gemacht und ausgebeutet werden. Menschenhandel ist ein internationales, grenzüberschreitendes Geschäft, mit dem die meisten Länder der Welt konfrontiert sind. Organisiert wird der Handel von kriminellen Banden, die Menschen – vor allem Frauen und Kinder – durch Täuschung, Versprechungen, Zwang und Gewalt ihres sexuellen Selbstbestimmungsrechtes berauben, zur Ware deklarieren und mit hohen Profiten vermarkten. Im April 2003 hat die Europäische Kommission in Brüssel eine "Sachverständigengruppe Menschenhandel" gebildet, die einen Beitrag liefern soll, um den Kampf gegen den Menschenhandel zu intensivieren.
Hohe Dunkelziffer
Zwar haben 1926 die Mitgliedsstaaten des Völkerbunds beschlossen, die Sklaverei in allen ihren Formen abzuschaffen, gleichwohl ist die "Verdinglichung von Menschen durch Menschen" bis heute nicht überwunden. "Sklavenhandel" heißt heute "Menschenhandel". Mit dem Beginn der 1970er Jahre entwickelte sich in Europa ein zunehmender Handel mit Frauen aus Staaten der "Dritten Welt". Da sich der Menschenhandel im Dunkel der Kriminalität abspielt, ist es nicht möglich, das Ausmaß des "modernen Sklavenhandels" zuverlässig zu beziffern. Schätzungen gehen von rund 500.000 Frauen und Mädchen aus, die zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung jährlich in EU-Länder geschleust werden. Das enorme Wohlstandsgefälle zwischen Arm und Reich beschleunigt den Menschenhandel von den ärmeren zu den wohlhabenderen Ländern. Von Süd nach Nord, von Ost nach West. Das "Ausland" steht für Wohlstand und Reichtum, zumindest aber für ein besseres Leben.
Der Balkan als Hauptumschlagplatz
Vor 1989 waren es vor allem Frauen aus Thailand, den Philippinen, einigen afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten, die in die Fänge von Menschenhändlern gerieten. Seit 1990 rekrutiert der Menschenhandel seine Opfer in erster Linie aus den mittel- und osteuropäischen Staaten. Nach dem Lagebild der organisierten Kriminalität 2002 des Bundeskriminalamts sind heute die Ukraine und der Iran die meist genannten Herkunftsländer der Geschleusten. Die Schleusungen aus Jugoslawien sind im Vergleich zu den vorherigen Jahren deutlich zurückgegangen. Dennoch hat sich der Balkan zum Zentrum des europäischen Menschenhandels entwickelt. Eine Studie der UN schätzt, dass jährlich 120.000 Frauen und Kinder aus Ost- und Südeuropa jährlich über den Balkan in die Länder der EU geschleust werden. 90 Prozent der Frauen werden in die Prostitution verkauft, die immer noch das lukrativste Geschäft für die Menschenhändler ist.
"Billig" und "lukrativ"
Organisiert wird der Menschenhandel in erster Linie von zukünftigen Ehemännern, die billig an eine Frau kommen wollen, dann von organisierten Vermittlern, Schleppern und Heiratshändlern. An dritter Stelle stehen Verwandte und Bekannte, die bereits im Ausland leben. Das Lagebild des BKA weist außerdem aus, dass im Jahr 2002 der Anteil deutscher Tätergruppen zugenommen hat. Zielland und Zielort sind abhängig davon, wie sich die lokale Nachfrage nach weiblicher Reproduktionsarbeit in den Bordellen und in privaten Haushalten entwickelt. Die Schlepper machen jährlich allein in Europa etwa sieben Milliarden Dollar Gewinn. Die Frauen und Mädchen werden – gleichgültig, ob die Ausübung der Prostitution erzwungen wird oder im "Konsens" erfolgt – von den kriminellen Banden ihrer individuellen Rechte beraubt und durch das Instrument der "Schuldknechtschaft" in eine Art moderne Sklaverei gezwungen.
Frauen als Hauptopfer
Dass Frauen in vielen Ländern der Welt eine leichte "Beute" für Menschenhändler sind, verdeutlichen die zum Teil katastrophalen Lebensbedingungen und die traditionelle Benachteiligung der Frauen in den Herkunftsländern. Die ausbeuterischen Arbeits- und Lebensbedingungen, denen die Opfer des Menschenhandels oft bereits in ihren Heimatländern ausgesetzt sind, reproduzieren und potenzieren sich in den Zielländern. Die meisten Frauen haben keinen gesicherten Aufenthaltsstatus, viele kein Aufenthaltsrecht. Sie werden unsichtbar in der Gesellschaft und leben in einem doppelt ungeschützten Raum. Einerseits sind sie dem Druck der Schlepper, Zuhälter oder ihrer Chefs ausgesetzt, andererseits müssen sie sich als Illegale vor Strafverfolgung schützen.
Autor/in: Irina Strelow (punctum, Bonn), 21.09.2006