Das Interview führte Margret Köhler.
Margarethe von Trotta bei den Dreharbeiten zu ihrem Film
Wieso zog sich das Projekt "Rosenstraße" fast über ein Jahrzehnt hin?
Das erste Drehbuch habe ich 1994/95 geschrieben und bis 1996 haben Volker Schlöndorff und das Studio Babelsberg versucht, das Geld zusammenzubekommen, aber es war nichts zu machen, vielleicht wegen der Komödienzeit im Kino. Im Nachhinein muss ich sagen, es hat mir gut getan. Denn damals hätte ich den Film ganz chronologisch und nur auf die Zeit bezogen inszeniert.
Haben Sie beim neuen Drehbuchanlauf viel verändert?
Nachdem ich schon alle Hoffnungen begraben hatte, startete ich mit neuem Elan. Dazwischen lagen Fernseharbeiten, u. a. die vierteilige Uwe-Johnson-Adaption
Jahrestage – Johnson fängt auch immer an, von New York zu erzählen und geht dann zurück nach Deutschland. Diese Methode gefiel mir sehr gut. Dazu kommt noch, dass viele Juden nach Amerika emigriert sind und ihre Geschichte dort weitergeht.
Warum erzählen Sie ein fiktives Schicksal?
Fiktion auf der Basis von Fakten! Die Schicksale, die man mir erzählte, waren doch nicht so stringent und ich wollte mich nicht nur auf eine Person konzentrieren, sondern auch andere Bereiche einbeziehen wie beispielsweise diese halsstarrigen Adeligen und Junker, die zwar nicht direkt mitmachten, aber doch sehr konservativ und antisemitisch ausgerichtet waren und den Nationalsozialismus begrüßt haben. Das neue Drehbuch erlaubte mir auch, die Goebbels-Szene zu drehen, denn der hatte in seinem Tagebuch geschrieben, dass man "das Problem" aus der Welt schaffen und einen Skandal vermeiden müsse. Die schweizerischen und schwedischen Zeitungen hatten bereits über den Protest der Frauen berichtet. Außerdem war die Bevölkerung nach Stalingrad nicht mehr so positiv und vertrauensvoll auf den Endsieg eingestimmt.
Wie haben Sie recherchiert?
Natürlich habe ich unheimlich viel gelesen über die Geschichte des Nationalsozialismus und der Juden in Deutschland, Bücher von Lion Feuchtwanger, Primo Levi oder Elie Wiesel. Und ich habe natürlich Daniela Schmidts Dokumentarfilm
Widerstand in der Rosenstraße, Berlin 1943 gesehen. Zu Beginn der Recherchen habe ich mit mehr als zehn Zeitzeugen gesprochen, es gab ja nicht nur die Frauen, die draußen standen und ihre Männer zurückwollten, sondern auch Jugendliche, die ihre Mütter begleiteten, oder Jugendliche im Sammellager. Viel erfuhr ich auch von Graf Löwenstein de Witt. Seine adelige Mutter stand mit ihrer Schwester, einem Parteimitglied, vor dem Haus. Viele Details bestimmten daher die Handlung.
Wo liegt der Bezug zum Heute?
Ganz aktuell: Das Mahnmal in der Berliner Lewetzowstraße mit den umfesselten Steinfiguren, wo sich einst die größte Synagoge befand, und vor dem Maria Schrader im Film steht, wurde erst vor kurzem wieder beschädigt. Der andere Bezug liegt im New Yorker Handlungsstrang. Es gibt immer noch Menschen, die nicht über das Entsetzliche reden können, die verdrängen, um nicht verrückt zu werden. Und Liebe, Zivilcourage oder Mut sind auch nicht an eine bestimmte Zeit gebunden.
Mir scheinen die Frauen damals sehr leise, der Protest entwickelte sich in einem schleichenden Prozess.
Sie haben erst nur geguckt, sind auf- und abgegangen, dann wurden sie schon lauter und haben auch geschrien. So habe ich es in vielen Dokumentationen gelesen und von Zeitzeugen erfahren. Natürlich schüchterten die Maschinengewehre ein. Im Film verstärke ich das ein wenig,
Rosenstraße ist ja kein Dokumentarfilm.
Die Frauen protestieren mit dem Mut der Verzweiflung. Ist diese Rigorosität typisch weiblich?
Ich glaube, ihr Verhalten geht weiter. Die Männer waren durch ihre arischen Frauen geschützt. Diese Schutzfunktion hatte auch etwas Mütterliches. Die sind nicht nur auf die Straße, weil sie ihre Männer liebten, sondern auch, weil sie diese schützen mussten, wie schon in den zehn Jahren davor. Eine große Verantwortung.
Ob Gudrun Ensslin, Carla Aldrovandi, Rosa Luxemburg oder hier Lena Fischer – Ihre Frauenfiguren kämpfen, ohne zur Heldin geboren zu sein.
Das fand ich an
Rosenstraße so wichtig. Der Protest war keine geplante politische Demonstration, sondern ein Widerstand, der sich aus dem Leben ergab. Männer ziehen in den Krieg, das wird befohlen. Frauen treffen individuell Entscheidungen und werden unfreiwillig zu Heldinnen, entwickeln aus der persönlichen Verzweiflung heraus eine große Kraft.
Sie gehören zu der Generation, die an die Utopie einer veränderbaren Gesellschaft glaubte. Haben wir inzwischen die Kraft zum Protest verloren?
Ich glaube nicht. Die Antikriegsdemos vor dem Irak-Krieg fand ich doch wieder ganz befriedigend. Ich hatte das Gefühl, die Jugend ist ganz froh, nicht mal nur mit der Love Parade d u r c h die Straßen zu ziehen, sondern auch mal für eine wichtige Sache a u f die Straße zu gehen. Das führt vielleicht zum Nachdenken.
Berliner Rosentraße im August 2003 Foto: Kirsten Liese
Müssen wir wieder fast zehn Jahre auf Ihren nächsten Kinofilm warten?
Ich hoffe nicht, brauche aber etwas Abstand. Gerade habe ich den TV-Film
Die andere Frau beendet und ein Spielfilmangebot aus Italien über die Zeit des italienischen Faschismus abgelehnt. Ich will nicht schon wieder in diese Epoche einsteigen.