Das Interview führte Margret Köhler.
Gab es ein reales Vorbild für das Mädchen Kroko?
Nicht direkt. Der Beleuchter einer meiner Kurzfilme erzählte mir einmal nebenbei über Mädchenbanden und darüber habe ich ihn dann ausgefragt. Er lebt in einem Milieu, in dem auch von Mädchen Gefahren ausgehen. Das war die erste Inspiration für den gleichnamigen Kurzfilm (2001). Beim Drehen des Langfilms war er auch beratend tätig und diente als Korrektiv. Ich hatte zwar das Drehbuch geschrieben, aber manche Begriffe waren mir doch fremd. So sagt man heute nicht mehr: "Du bist ein Opfer", sondern: "Du bist ein Krisengebiet". Auf so etwas muss man erst einmal kommen.
Woher kommt Ihre Affinität zu dem Jugendthema?
Ich würde das Thema nicht auf Jugend begrenzen. Mich interessieren Geschichten darüber, wie man sich durchsetzen muss, sich Vorurteilen gegenüber verhält und sich selbst isoliert und abgrenzt, eigentlich aus Angst heraus. Diese Ambivalenz zwischen Macht und Ohnmacht, Stärke und Schwäche, "abnorm sein" und "Norm sein" möchte ich hinterfragen. Es geht auch darum: Wer bestimmt diese Begriffe, wer setzt die Maßstäbe?
Kroko handelt unter anderem von Gewalt durch Mädchen. Drückt sich die anders aus als bei Jungen?
Ich weiß nicht, ob man dazu eine allgemein gültige Aussage treffen kann. Es waren kleine Geschichten am Rande, die mich zu dem Thema geführt haben. Und ich habe eine Reihe von 16-Jährigen interviewt, die mir von Mädchenattacken berichteten und von körperlicher Bedrohung. Da unterscheidet sich das Verhalten kaum von denen der Jungen. Vielleicht kommt bei den Mädchen noch eine andere Kraft hinzu, eine verbale Schlagkraft, andere Taktiken. Sie spielen auch mit der Weiblichkeit als Reizobjekt. Natürlich sollte man zwischen den Geschlechtern differenzieren. Aber es wäre falsch, diese Aggressionen bei Frauen zu negieren.
Gelten frühere Rollenbilder nicht mehr? Die "klassische" Gewalt ist maskulin.
Es kommt auf das Milieu, das soziale Umfeld an. Niemand sollte sich von Aggressionen freisprechen. Ob das Potenzial, das in uns steckt, das Temperament oder ganz einfach die Fähigkeit, sich zu behaupten, geweckt wird, hängt von vielen äußeren Faktoren ab.
Bietet der Sozialdienst solchen Jugendlichen wirklich eine Chance?
Ich halte das mehr für eine Pseudo-Chance, durch die bestimmte Dinge befriedigt werden. Die Gesellschaft probiert alles, um sich vom schlechten Gewissen zu befreien. Dazu gehört auch der Sozialdienst.
Sie arbeiteten mit echten Behinderten, mit Theaterschauspielern. Wie verlief die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Gruppe und zwischen den "Normalos" und den "Spastis"?
Eigentlich sehr einfach. Am Anfang hatte ich totale Berührungsängste, aber wir bekamen sehr viel Unterstützung seitens der Theaterregisseure, die mit diesen Leuten seit Jahren arbeiten. Die zeigten sich davon angetan, dass wir einen Ensemblefilm machten, so erwarteten sie keine Profilneurosen nach dem Dreh. Unter dieser Bedingung erhielt ich die Drehmöglichkeit. Hauptdarstellerin Franziska Jünger zeigte überhaupt keine Berührungsängste.
Wie haben Sie Franziska Jünger gefunden?
Die Suche zog sich lange hin. Franziska wurde mir durch eine Jugendagentur vermittelt. Ich habe ihr gesagt, du musst dich in die Situationen hineinfinden und mir zuhören. Sie hing an meinen Lippen und bat mich manchmal, ihr etwas vorzuspielen, damit sie schneller begriff, um was es ging. So habe ich ihr einzelne Szenen erklärt und dann ging es los. Die Dialoge standen fest, das Gerüst war quasi vorhanden, aber wir haben erst einmal improvisiert. Manchmal halte ich es für sinnvoll, den Schauspielern das Drehbuch nicht zu geben, sondern einen Prozess in Gang zu setzen und ihr Sicherheitsgefühl ein wenig zu unterwandern. Unsicherheiten machen einen Menschen interessanter und sympathischer.
Wie soll man das Ende interpretieren?
Kroko geht einen Schritt weiter, aber man weiß nicht wohin. Es können Rückschläge kommen, aber selbst die sind immer mit einem Stückchen Hoffnung verbunden.
Was erwarten Sie sich vom jugendlichen Publikum?
Ich vermute, dass es einen gewissen Selbsterkennungseffekt geben wird, das wäre erst mal positiv. Es wäre schön, wenn die Jugendlichen spüren, dass man ihnen Aufmerksamkeit schenkt, die sonst etwas zu kurz kommt. Und ich würde mich freuen, wenn mein Film etwas bei ihnen auslöst – Solidarität, Offenheit, Toleranz.