Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Rolle und den Aufgaben von Vätern und dem Bild, das unsere Gesellschaft heute von ihnen entwirft, ist überfällig. Angesichts tief greifender Veränderungen im Rollenverhalten der Geschlechter, durch den Strukturwandel bis hin zur Auflösung der traditionellen Familie und neuen Zwängen und Anforderungen in der Arbeits- und Berufswelt scheint die Bedeutung der Väter für das kindliche Wohl wie für die Gesellschaft auf den ersten Blick reine Nebensache. Väter haben ihren Teil zu dieser verbreiteten Meinung beigetragen, indem sie oft und über lange Zeiträume hinweg durch psychische oder gar physische Abwesenheit "glänzten", sei es durch Krieg, berufliche Anforderungen oder eigene Sorglosigkeit.
Alexander Mitscherlich hat bereits 1963 auf die gesellschaftliche Fehlentwicklung hingewiesen, die sich aus dem Fehlen einer väterlichen Instanz für Kinder ergeben kann. Heute wissen sogar selbstkritische Väter oft nicht mehr, welche Werte sie ihren Kindern vermitteln und worin sie ihnen noch ein Vorbild sein könnten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass in den letzten Jahren gerade Forschungen, die sich speziell der Situation von Frauen in unserer Gesellschaft widmen, eine vaterlose Gesellschaft bemängelten. Der Mangel wird durch die rapide steigende Anzahl von Scheidungskindern und die schwierige Situation von allein erziehenden Müttern zusätzlich verstärkt. Meistens fordern die Forscher/innen die Männer dazu auf, sich mehr um die Kinder und speziell um die Jungen zu kümmern. Denn diese leiden unter dem Mangel an männlichen Vorbildern in besonderer Weise und ihre (männliche) Verunsicherung äußert sich in gesteigerter Aggression bis hin zur Gewaltanwendung. Die inzwischen gewachsene Sensibilität für das Thema hat inzwischen sogar Einfluss auf die Gesetzgebung genommen. Anfang April 2004 hat der Bundesrat in einer Gesetzesänderung den biologischen Vätern mehr Rechte eingeräumt, selbst wenn sie nicht der Familienvorstand sind.
Der filmgeschichtliche Überblick aus der Kinofenster-Serie "Kino-Film-Geschichte" verdeutlicht, dass das Kino schon sehr früh damit begonnen hat, gesellschaftlich erwünschte oder verpönte Vaterbilder – von der Propagierung des 'Vaterlands' über das Bild des Vaters als erobernder, aber auch beschützender Held bis zu den abwesenden Vätern der Kriegs- und Nachkriegsgenerationen – zu reproduzieren und zu reflektieren. Auf den aktuellen gesellschaftlichen Wandel bei den Vaterbildern reagiert die Filmindustrie allerdings nur sehr langsam. Viele Produktionen der letzten Jahre kommen über die praktikable Verwaltung des Mangels an positiven Vaterbildern nicht hinaus, projizierten sie in die Zukunft (z. B.
Terminator) oder greifen auf altbewährte Rollenmuster zurück. Beispielsweise wirkt das 2004 gestartete Remake der Erfolgskomödie
Im Dutzend billiger aus dem Jahr 1950 über eine Familie mit zwölf Kindern auf den ersten Blick sehr modern. Der von Steve Martin verkörperte Vater ist um das berufliche Fortkommen seiner Frau bemüht, verzichtet am Ende zugunsten der Familie gar auf die eigene Karriere. Aber ohne die Frau kommt er mit den Kindern seltsamerweise plötzlich gar nicht mehr zurecht und das propagierte Familienglück lässt sich nur mit einem gesellschaftlichen Abseits erkaufen. Auf deutsche Verhältnisse und auf den deutschen Film bezogen hat Dani Levy vor einigen Jahren mit seinem Film
Väter ein erstes Zeichen für eine differenziertere Betrachtung gesetzt. Aber erst 2003 mit Sönke Wortmanns
Das Wunder von Bern sind die lange verdrängte oder einfach nur in Vergessenheit geratene Abwesenheit der Väter und ihre Folgen wieder mehr ins gesellschaftliche Bewusstsein gedrungen, wenn auch nur im historischen Rückblick der Nachkriegszeit. Anhand von drei fast zeitgleich im Kino startenden internationalen Filmproduktionen möchte diese Themenausgabe einige aktuelle Vaterbilder im Film vorstellen, die auch drei sehr unterschiedliche Konfliktmodelle von Vater-Sohn-Beziehungen markieren. In dem russischen, mehrfach preisgekrönten Film
The Return - Die Rückkehr (Andrej Swjaginzew) kehrt ein Vater nach Jahren der Abwesenheit zu seiner Frau und den beiden inzwischen herangewachsenen Söhnen, die ihn nur von Fotos kennen, zurück. Während der Ältere seinen Vater bewundert, reagiert der Jüngere mit offener Ablehnung. Auf einem einwöchigen Ausflug mit den beiden Jungen auf eine unbewohnte Insel versucht der Vater, das Versäumte in der Erziehung seiner Kinder nachzuholen.
Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran (François Dupeyron) spielt im Paris der 1960er Jahre und zeigt Omar Sharif als moslemischen Besitzer eines Krämerladens, der einem jüdischen Jungen zum Ersatzvater wird, nachdem der leibliche Vater Schwierigkeiten hat, das eigene Leben zu meistern. Der Alte sensibilisiert den Jungen für die großen und kleinen Freuden des Alltags und adoptiert ihn schließlich. Gemeinsam begeben sie sich am Ende auf eine Reise in das Heimatland des Moslems.
Big Fish (Tim Burton) kontrastiert einen realitätsverliebten jungen Mann mit seinem sterbenden Vater, der dem Sohn ein Leben lang fantastische Geschichten und Legenden über das eigene Leben und seine Herkunft erzählt hat. Die in den Geschichten verborgenen Lebensweisheiten kommen beim Sohn aber falsch an. Sie wecken in diesem vielmehr das Gefühl, den Vater nie richtig kennen gelernt zu haben. So macht sich der Sohn wie seinerzeit der Vater auf den mühsamen Weg, das Leben zu erkunden und das Faktische vom Fiktiven zu trennen.