38. Internationale Hofer Filmtage 2004
Delphinsommer (Foto: Internationale Hofer Filmtage)
Das Interesse am deutschen Film hat weltweit zugenommen, kaum ein Festival, das nicht deutsche Werke präsentiert. Seit nunmehr 38 Jahren sind die Hofer Filmtage ein wichtiges Forum für den deutschsprachigen Film. Während die Qualität der hiesigen Filmproduktionen insgesamt gestiegen ist und die Filmemacher/innen längst nicht mehr vor Geschichten aus dem Alltag und der Realität zurückschrecken, setzten die Hofer Filmtage unter Leitung von Heinz Badewitz in diesem Jahr nicht auf große Namen, sondern verstärkt auf den Filmnachwuchs und auf unzweifelhaft vorhandene neue Talente. Das deutsche und internationale Programm umfasste etwa 60 Spiel- und 35 Kurzfilme.
Afghanen flirten nicht (Foto: Internationale Hofer Filmtage)
"Deutsche Führungseliten" – Damals und heute
Einen viel versprechenden Auftakt des Festivals bot der Eröffnungsfilm
Napola – Elite für den Führer von Dennis Gansel. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Erziehungsanstalt Napola Allenstein, in der die zukünftige Elite des "großdeutschen Reiches" herangezogen wurde, erzählt der emotional berührende und sehr dicht inszenierte Film von der Freundschaft des so talentierten wie unpolitischen "Vorzeigeariers" Friedrich Weimar aus dem Berliner Arbeiterbezirk Wedding mit dem literarisch begabten, schmächtigen "Gauleitersohn" Albrecht Stein, der nur seines Vaters wegen in diesem Internat ist. Beide versuchen auf ihre Weise, in der brutalen Kaderschmiede zu überleben und zugleich ihrem Wesen treu zu bleiben. Statt das Klischee einer durchfanatisierten Hitlerjugend zu bedienen, wirkt Gansels Film über Freundschaft, Jugendträume und Zivilcourage lebensecht und zeitgemäß, und wenn am Ende die Jugendlichen entflohene jugendliche Zwangsarbeiter jagen müssen und der Gauleiter seinen eigenen Sohn "opfert", offenbart das viel mehr über die Unmenschlichkeit eines Systems als militärischer Umgangston oder indoktrinierter Rassenwahn. – Heutige Kaderschmieden geben sich weniger politisch als religiös. Das Menschenbild der "Auserwählten" ist sich ähnlich und die Repressalien, denen Jugendliche unterworfen sind, wirken lediglich subtiler, aber nicht minder verheerend. Jobst Christian Oetzmann erzählt davon in seinem für den WDR produzierten Film
Delphinsommer . Wohlbehütet und streng reglementiert ist die 16-jährige Nathalie bisher bei ihrer Mutter und dem Stiefvater aufgewachsen, der als Rechtsanwalt eine Führungsposition in einer Sekte innehat. Bisher hatte das Mädchen eine Nonnenschule auf dem Land besucht, doch nach dem Umzug nach Berlin bleibt ihr nur eine reguläre Schule zur Fortbildung. Ihr festes Weltbild gerät durch die Begegnung mit anderen, nicht religiös verblendeten Jugendlichen ins Wanken, das Verhalten der Eltern und der anderen Sektenmitglieder erscheint plötzlich in einem nicht mehr so positiven Licht. Als sie nach dem Vorbild einer rebellischen Freundin aus der Sekte ebenfalls aufbegehrt und ihr eigenes Leben führen möchte, bekommen beide zu spüren, dass man die "Kirche des Herrn" nicht ungestraft verlassen darf. Die Fernsehausstrahlung dieses thematisch brisanten, mit überzeugenden Jungdarstellern/innen gut besetzten und sauber recherchierten Films ist im Frühjahr 2005 vorgesehen, aber er sollte auch eine Chance für die Kinoauswertung erhalten.
Yasmin (Foto: Internationale Hofer Filmtage)
"Grenzüberschreitungen" – Im Nahen Osten
Nur unmittelbar nach einem Krieg fließen die Fördergelder für den Wiederaufbau problemlos, meint die bosnischstämmige Stuttgarterin Szana Lipovac im Dokumentarfilm
Afghanen flirten nicht , und sie muss es wissen: Seit mehr als zehn Jahren ist die ehemalige Wirtschaftsmanagerin als Leiterin einer deutschen Hilfsorganisation in Krisengebieten unterwegs, um den Menschen vor Ort zu helfen. In Afghanistan wurde die nervenstarke, resolute und zugleich selbstkritische Frau von Regisseur Jochen Frank mit der Kamera begleitet. In der Hauptstadt Kabul und in ländlichen Gebieten, wo sich andere Hilfsorganisationen wegen der gefährlichen Lage oft nicht hinwagen, organisiert sie die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung. Das verlangt ihr viel Überzeugungsarbeit ab, zumal sie als Frau in einem traditionell männlich geprägten Land fast ausschließlich mit muslimischen Männern verhandeln muss. Franks Film, der in Hof den "Eastman-Förderpreis" der Firma Kodak erhielt, ist nicht nur das spannend und witzig erzählte Porträt einer charismatischen, mutigen Frau, er vermittelt darüber hinaus etwas vom schwierigen Alltag der Menschen in einem kriegszerstörten Land und gibt Hoffnung, dass sich auch die Grenzen und Rollenbilder in den Köpfen der Mullahs langsam ändern. – In dem mehrfach preisgekrönten Film
Die syrische Braut gerät eine UN-Helferin zwischen die Fronten, mitten im Niemandsland zwischen Syrien und den von Israel besetzten Golanhöhen. Bei der Hochzeit zwischen einem Syrer und seiner Braut aus dem besetzten Gebiet wird die UN-Helferin unversehens als Vermittlerin tätig. Die Hochzeit bedeutet für die junge Frau den endgültigen Abschied von ihrer Familie, denn hat sie erst einmal die Golanhöhen verlassen, bleibt ihr die Wiedereinreise dauerhaft verwehrt. Nach einer authentischen Begebenheit erzählt der israelische Filmemacher Eran Riklis beispielhaft anhand einer Großfamilie von den Absurditäten des Alltags, die sich aus dieser politischen Situation ergeben, und von den Repressalien, unter denen die Bevölkerung auf beiden Seiten der willkürlich gezogenen Grenze zu leiden hat. Persönliches Glück und intakte Familienbande sind nahezu ausgeschlossen, allenfalls unter Lebensgefahr möglich.
"Klimawandel" – In Mitteleuropa
Der bisher vorwiegend für das Fernsehen tätige schottische Regisseur Kenny Glenaan erzählt in
Yasmin , wie sich nach dem Terroranschlag vom 11. September auch in Nordengland das politische Klima verändert hat. Die muslimische und insbesondere die pakistanische Bevölkerung, die weit gehend integriert und allseits angesehen schien, wurde plötzlich pauschal als Brutstätte von Terroristen eingestuft. Die Einheimischen reagierten mit Angst und Intoleranz, die Polizei verhaftete willkürlich Verdächtige und verdächtig machte man sich bereits durch regelmäßige Telefonate nach Pakistan. Dieser gesellschaftliche Klimawandel hat für die junge Erzieherin Yasmin und ihre Familie dramatische Folgen. Längst westlichen Idealen verbunden und weit gehend ihrer traditionellen Herkunft entfremdet, wird sie plötzlich von ihren Arbeitskollegen/innen geschnitten, ihr zuvor in den Tag lebender Bruder schließt sich den Aufrufen radikaler Islamisten an, der Vater verliert alles, was ihm lieb und teuer war und der ungeliebte Cousin, den Yasmin nur ihrem Vater zuliebe geheiratet hatte, wird ins Gefängnis geworfen und bedarf ihrer Hilfe. Ganz unspektakulär inszeniert, mit einer eingewobenen kleinen Liebesgeschichte, vermittelt der Film, wie schnell Akzeptanz in Intoleranz umschlagen kann. Er stellt die provokante Frage, ob die Europäer durch Vor- und Pauschalurteile vielleicht den Extremismus eines Teils der islamischen Bevölkerung voran getrieben haben. – Ein wirtschaftlicher Klimawandel führt in Bettina Oberlis
Im Nordwind zur Aufgabe des gewohnten Lebensstils und den Zerfall einer bürgerlichen Familie. Globalisierung und "Umstrukturierungsmaßnahmen" in den Konzernzentralen hinterlassen ihre Spuren auch in der Schweiz, dem wohlhabenden Land der Banken und Transfergelder. Der als stellvertretender Personalleiter tätige Familienvater wird plötzlich arbeitslos. Unfähig, mit der ungewohnten und als traumatisch empfundenen Situation umzugehen, verschweigt er der Familie seinen neuen Status und verlässt täglich wie gewohnt das Haus. Die Ehefrau leidet unter der unerklärbaren Verschlossenheit ihres Mannes, klammert sich ängstlich an den Zukunftstraum eines Eigenheims auf dem Land, und der autoaggressiv reagierenden Tochter mangelt es an Selbstvertrauen, ihren Berufswunsch als Schneiderin zu realisieren. Als die Bank schließlich den Kredit für den Hausbau kündigt, bricht das fragile Familiengebilde auseinander. In fast dokumentarischer Sachlichkeit und ohne künstliche Dramatisierung "beobachtet" Oberli ihre Filmfiguren, ein behutsam mit sphärischer Musik unterlegtes stilles Drama, das in seiner alltäglichen Banalität anrührt und betroffen macht.
"Kulturaustausch" – Heimat hier und anderswo
Viele der in Hof präsentierten (deutschsprachigen) Filme waren reich an Dramatik, bemüht in ihrer Ernsthaftigkeit, engagiert in ihrem Anliegen, relativ selten aber boten sie etwas zum Lachen. Wie sich thematische Brisanz dennoch mit guter Unterhaltung und Spaß verbinden lässt, zeigten Andreas Gruber in
Welcome Home und Anno Saul in
Kebab Connection . Der Österreicher Andreas Gruber nähert sich dem Thema der illegalen Einwanderung und der gängigen Abschiebepraxis in seinem Land mit viel Situationskomik und milder Ironie. Der 25-jährige Schwarze Isaac, der seine wahre Herkunft lange im Unklaren lässt, kommt mit gefälschtem Pass über die grüne Grenze, findet schnell eine Freundin und wohlwollende Aufnahme in einen österreichischen Fußballverein, erregt damit aber die Missgunst des arroganten Gendarmeriebeamten Rösler. Da die Behörden Isaac für einen Ghanaer halten, wird er umgehend abgeschoben. Rösler und ein Kollege sollen ihn bis nach Accra begleiten. Kaum in Ghana angekommen, dessen Einwanderungsbehörde Isaac nicht als Staatsbürger anerkennen will, sind die Rollen schnell vertauscht: Aufgrund von Röslers Jähzorn gelten die beiden Gendarmen nun selbst als mögliche Gesetzesbrecher und müssen sich mittel-, macht- und rechtelos in dem fremden Land durchschlagen, eine Lektion, die ihnen einen anderen Blick auf menschliche Schicksale lehrt. – Multikulturell orientierte Toleranz ist für den Hamburger Türken Ibo in Anno Sauls Komödie, deren Drehbuch von Fatih Akin unterstützt wurde, dagegen längst kein Thema mehr: Ibo bewegt sich frei zwischen den Welten, er möchte den ersten deutschen Kung-Fu-Film drehen, feiert mit einem fulminanten Döner-Kinospot für seinen Onkel erste Erfolge in der Medienszene und zeigt sich auch den konkurrierenden Griechen gegenüber nicht zugeknöpft. Aber dann wird Ibos deutsche Freundin schwanger und er soll beweisen, dass auch ein türkischer Mann ein guter Vater sein kann und sich bestens mit Windelwechsel und Babysitting auskennt. Spielerisch und temporeich wechselt Anno Saul zwischen der Alltagsrealität im Film und Ibos filmischer Fantasiewelt, karikiert gängige kulturelle Klischees und traditionelle Rollenzuweisungen, zitiert lustvoll aus der Filmgeschichte, etwa wenn ein rollender Kinderwagen wie in der berühmten Treppenszene von
Panzerkreuzer Potemkin für Dramatik sorgt. Ein filmischer Leckerbissen also, der zeigt, dass kulturelle Identität und Integration sich durchaus unter eine "Windel" bringen lassen.
Autor/in: Holger Twele, 21.09.2006