Hintergrund
Die Priesterbaracke
Szene aus dem Film "Der neunte Tag"
Die Priesterbaracke des Konzentrationslagers Dachau wird in vielen Berichten überlebender Häftlinge als Ort beschrieben, in dem die inhaftierten Geistlichen trotz Erniedrigung, Terror und Mord aus ihrem Glauben Kraft schöpfen konnten, denn im Häftlingsblock Nr. 26 war eine kleine Kapelle eingerichtet. Neben der Priesterbaracke gab es noch zwei weitere Baracken, die Häftlingsblocks 28 und 30, in denen die Geistlichen als eigene Gruppe inhaftiert waren. Bereits Ende des Jahres 1940 waren alle "geistlichen Schutzhäftlinge" in einem Lager zusammengelegt und anschließend in das KZ Dachau überführt worden. Schnell stieg diese Häftlingszahl nach den Verlegungen aus anderen Lagern von ca. 20 auf 1007 an. Bis zur Befreiung des KZs Dachau im Mai 1945 durch die Alliierten sollte die Zahl der zeitgleich Inhaftierten auf 2720 ansteigen.
Warum wurden auch Geistliche in den KZs inhaftiert?
Deutsche Geistliche, die in Verdacht standen, Widerstand gegen das NS-Regime geleistet und/oder öffentlich deren Verbrechen angprangert zu haben, kamen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 als politische Häftlinge in "Schutzhaft". Ihre Zahl war aber gemessen an den anderen politischen Häftlingsgruppen verschwindend gering. Sie stellten auch innerhalb der Kirchen eine kleine Minderheit dar. Es war vielmehr das Bestreben der katholischen Kirchenführer, mit dem NS-Regime eine Art "Modus Vivendi" herzustellen. Dies geschah in Form des am 20. Juli 1933 vom Vatikan unterzeichneten Reichskonkordats, das einerseits den katholischen Geistlichen und Ordensleuten jegliche politische Betätigung untersagte, andererseits die Aufrechterhaltung der theologischen Fakultäten, der Konfessionsschulen, des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen sowie den Bestand der kirchlichen Presse garantierte. Die deutsche Bischofskonferenz begrüßte bereits am 9. Juni 1933 die "nationale Erhebung", d. h. die Machtübernahme der Nationalsozialisten. Vorbehalte wurden allerdings gegenüber deren terroristische Mittel geäußert, durch die unter anderem viele politische Gegner/innen ab März 1933 in die Konzentrationslager gerieten.
Aus welchen Ländern stammten diese Geistlichen?
Neben der ersten Gruppe deutscher politischer Geistlicher kamen ab dem Jahr 1938 geistliche Würdenträger aus den von den Nationalsozialisten besetzten und annektierten Ländern ins KZ Dachau. Das waren nach dem so genannten Anschluss Österreichs als erste größere Gruppe österreichische Pfarrer. Sie waren außergewöhnlicher Grausamkeit seitens der SS-Bewacher ausgesetzt und in einem Strafblock isoliert. Nach dem Kriegsausbruch im September 1939 stieg die Zahl der Verhaftungen in den Reihen ausländischer kirchlicher Oppositioneller in den besetzten Ländern weiter an. Nach den Inhaftierungen in westlichen Ländern waren die polnischen Geistlichen eine der größten Häftlingsgruppen, denn die rassistisch motivierte Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten zielte auf die kulturelle Auslöschung der osteuropäischen Nationen und den polnischen Geistlichen sprach man generell einen besonders großen Einfluss auf die katholisch geprägte Bevölkerung zu. Die meisten dieser Pfarrer wurden daher ohne jeglichen Grund verhaftet und in die KZs verschleppt. Diese Massenverhaftungen wurden mit derart großer Brutalität vorgenommen, dass der Vatikan dagegen öffentlich Protest einlegte. Verhandlungen mit der NS-Führung führten schließlich zu einer Vereinbarung über temporäre Hafterleichterungen.
"Hafterleichterungen" im KZ Dachau
Im KZ Dachau nahmen die geistlichen Häftlinge eine Sonderstellung ein. Einerseits erhielten sie zeitweise die vereinbarten Hafterleichterungen, doch boten gerade diese auch Anlass für Willkür und Terror seitens der SS. Dies lässt sich an der Geschichte der Priesterbaracke Nr. 26 ablesen. Die erste Messe dort wurde am 20. Januar 1941 mit einem Altar aus einem kleinen Tisch, zwei hölzernen Kerzenhaltern, einem kleinen Kelch, einer hölzernen Monstranz und einem Kreuz gefeiert. Doch wenige Monate später, im Herbst 1941, wurde der Zutritt zur Priesterbaracke nur noch deutschen Geistlichen gewährt. Willkürlich wurden auch die gesamten mit dem Vatikan ausgehandelten Privilegien fast vollkommen zurückgenommen, das bessere Essen entfiel. Neben dem Besuch der Kapelle wurde auch die Freistellung von der Arbeit allein auf die deutschen Priester beschränkt, die im Block 26 isoliert von den anderen verblieben. Zwar wurde Ende 1942 der Zutritt zur Kapelle wieder auf andere Nationen ausgeweitet, doch davon ausgenommen blieben weiterhin die polnischen und litauischen Geistlichen. So kam es auch zur einzigen, in der Lagergeschichte überlieferten, heimlichen Priesterweihe. Am 17. Dezember 1944 wurde der deutsche Dekan Karl Leisner von dem französischen Häftling Bischof Gabriel Piquet zum Priester geweiht.
Willkürakte der SS und Widerstand
Viele lebensbedrohliche Schikanen gegen die Priester sind überliefert. Die Motive der SS sind einerseits aus der Sonderstellung der Geistlichen erklärbar, die nicht auf einer wirklichen Anerkennung beruhte, andererseits aus der im Lager gegen alle Häftlingsgruppen praktizierten Willkür. Diese äußerte sich beispielsweise in grausamen Kollektivstrafen wie allgemeinen Strafappellen, Verhören, Schlägen oder Demütigungen vor allem in der Karwoche im Jahr 1942, denn diese hatte für die geistlichen Häftlinge eine besondere religiöse Bedeutung. Einige der Priester überlebten diese Strafmaßnahmen nicht. Als ab Ende des Jahres 1942 alle Häftlingen, mit Ausnahme der osteuropäischen und jüdischen Gefangenen, Lebensmittelpakete erhalten durften, bekamen viele Priester aufgrund der Fürsorge "ihrer Pfarrkinder" mehr Pakete als andere. Dies ermöglichte manchen von ihnen bessere Arbeitskommandos, wie beispielsweise für Deutsch sprechende Priester in der SS-Besoldungsstelle, denn so genannte Funktionshäftlinge, die nicht minder unter dem Hunger im KZ litten, waren für einen Teil der Verwaltung des Lagerlebens zuständig und konnten entsprechende "Vorschläge" für Arbeitseinsätze machen. Eine derart erhaltene Stellung nutzte ein deutscher Geistlicher (Hans Carl) zum Widerstand. Er sammelte Material für eine geplante geheime Dokumentation über das KZ Dachau. Als er aufflog, waren fortan allen Geistlichen Arbeitskommandos verboten, die einen weiter gehenden Einblick in die Lagerorganisation ermöglichten. Vor allem die Geistlichen aus Osteuropa waren in härteren Arbeitskommandos eingesetzt. So wurden in der "Plantage" zwischen 1940 und 1942 Hunderte von Häftlingen zu Tode gequält. "Die Plantage ist aller Häftlinge Schreckgespenst. Es ist dies eine riesige Anbaufläche, die dem Dachauer Moorboden um den Preis unzähliger Menschenleben fortschreitend abgerungen, mit Wegen durchzogen und zum Anbau vor allem medizinischer Gewächse benutzt wird. Die Arbeit auf der Plantage gilt nicht als Arbeit, sondern nur als 'Verwendung' für sonst Unbrauchbare ... In Wirklichkeit ist es eine Mördergrube." (Jean Bernard: Pfarrerblock 25487, München 1962, S. 89f.)
Der luxemburgische Abbé Jean Bernard
Insgesamt sind 1034 Todesfälle geistlicher Häftlinge bekannt, dies entspricht einer Quote von 38 Prozent. Über 48 Prozent dieser Toten waren polnische Geistliche, was die Größe ihrer Haftgruppe aber auch die besonders grausame Verfolgung durch die SS widerspiegelt. Von den 16 Luxemburger Priestern, zu denen Jean Bernard zählt, das historische Vorbild der Filmfigur in
Der neunte Tag, überlebten sechs die Haftzeit nicht. Der katholische Abbé war zu Beginn des Jahres 1941 in Paris verhaftet worden. Dort hatte er seit seiner Flucht aus Brüssel nach Kriegsausbruch für die "Mission France-Luxembourg" gearbeitet. Über die Gefängnisse Luxemburg und Trier kam er am 19. Mai 1941 in das KZ Dachau. In seinem retrospektiv verfassten Tagebuch "Dachau-Pfarrerblock Nr. 25487" können die hier skizzierten Haftbedingungen der Priester nachgelesen werden. Bernard erwähnt darin auch kurz seinen überraschenden Hafturlaub vom 15. bis 25. Februar 1942. Aus unbekannten Gründen wurde er am 5. August 1942 aus dem KZ Dachau entlassen. Seine Erinnerungs-Skizzen enden mit der Befreiung von Luxemburg am 6. Oktober 1944. Literaturhinweise: Jean Bernard: Pfarrerblock 25487, München 1962 (Nachdruck: Luxemburg 2004) Stanislav Zamecnik: Das war Dachau, Dachau 2002
Autor/in: Annette Eberle (Historikerin), 21.09.2006