Hintergrund
Wie kommt das Böse in die Welt? – Anmerkungen zum Problem der Theodizee
Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten. (Thomas Payne in Georg Büchners Drama "Dantons Tod").
In seinem Leben macht jeder Mensch gute und schlechte Erfahrungen. Schmerz, Leid, Ungerechtigkeit, Folter, Vergewaltigung, Krieg und Mord gehören zu den schrecklichsten Erlebnissen. Für den Menschen, der an Gott glaubt, an den einen und allmächtigen Schöpfergott der monotheistischen Religionen, kann aus solchen Erfahrungen eine tiefe Krise entstehen. Denn mit ihnen stellt sich die Frage: Woher kommen die Schrecken in einer Welt, die ein liebender Gott geschaffen hat und von der es im ersten Buch der Bibel heißt: "Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte; und siehe da, es war sehr gut"? Es ist die Frage zugleich nach der Gerechtigkeit wie nach der Rechtfertigung Gottes. In den Diskussionen der Theologie spielt sie eine große Rolle und wird zusammengefasst unter einem Begriff, der sich aus den griechischen Wörtern theos (Gott) und dike (Recht, Gerechtigkeit) zusammensetzt: Theodizee.
Will Gott das Übel?
Lange bevor sich mit dem Judentum und Christentum – später auch mit dem Islam – die monotheistischen Religionen durchsetzten, hat der griechische Philosoph Epikur (341-270 v. Chr.) nachhaltig kritische Anmerkungen zur Problematik eines als gut behaupteten Gottes gegenüber einer manchmal als schlecht erfahrenen Welt gemacht: "Entweder will Gott das Übel beseitigen und kann es nicht: dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft, oder er kann es und will es nicht, dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist, oder er will es nicht und kann es nicht: dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott, oder er will es und kann es, was allein für Gott sich ziemt: Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?" Die Fragestellung führt zu einer Aporie, einem unauflösbaren Widerspruch.
Satan oder Freiheit?
Dennoch haben die Theologie und Philosophie über Jahrhunderte hinweg an Lösungsmodellen gearbeitet. Eines der bekanntesten ist das des Dualismus: Der positive Gott erhält ein negatives Gegenüber, einen Widersacher, der das Böse darstellt und personifiziert. In der christlichen und islamischen Religion ist das die Figur des Satan, oft interpretiert als gefallener Engel. Von der Theodizee her wird man mit dieser Idee allerdings nur auf die Frage zurückgeworfen, wie Gott den Fall des Engels zulassen konnte. Ein anderes Lösungsmodell sieht einen Rückzug Gottes aus seiner Allmacht vor, um dem Menschen Freiheit (der Entscheidung) zu ermöglichen. Darauf spielt die biblische Geschichte vom Sündenfall Adams und Evas an. Der grundlegende Widerspruch wird durch diese Modelle nie ohne Rest aufgehoben. Auch der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716), der den Begriff Theodizee geprägt hat, schafft nur eine Annäherung mit seiner Behauptung, diese Welt sei die beste aller möglichen und das Übel hätte in ihr den geringsten Raum.
Wo war Gott in Auschwitz?
In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Theodizee-Problem durch die entsetzliche Erfahrung des Holocaust dramatisch zugespitzt. Wo war Gott in Auschwitz oder im KZ Dachau? Eine Szene in der Einleitungssequenz des Films
Der neunte Tag stellt die Frage ganz ausdrücklich. Eine Antwort kann im Protest gegen Gott oder in seiner Auslöschung durch den Atheismus liegen. Eine andere Antwort versucht die moderne Theologie (z. B. Dorothee Sölle) mit der jesuanischen Passion zu geben. In Jesus hat Gott das Übel am eigenen Leib erfahren. Danach kann sich Religiosität nur noch in der Solidarität mit den Leidenden artikulieren. So wird der unauflösliche Widerspruch der Theodizee in eine soziale Praxis überführt.
Erstaunen und Erschrecken
Der Theologe Rudolf Otto hat das Heilige allerdings schon im 19. Jahrhundert als eine Erfahrung sowohl des Erstaunlichen wie des Erschreckenden definiert. Vielleicht ist die Heiligkeit Gottes nur zu retten, wenn er Verantwortung auch für das Böse übernimmt. Damit wäre "das Böse" jedenfalls als Propaganda-Floskel aktueller Kriegspolitik endgültig außer Kraft gesetzt.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006