Das Interview führte Reinhard Kleber.
Luis Mandoki (links) mit Oscar Torres
Der Film beruht auf tatsächlichen Ereignissen von Drehbuchautor Oscar Torres. Inwieweit weicht er von den Fakten ab?
Alles, was auf der Leinwand passiert, ist auf die eine oder andere Weise auch in der Realität passiert. Wir haben allerdings manchmal etwas verändert. Wenn bestimmte Dinge innerhalb von zwei oder drei Jahren geschahen, haben wir sie im Film aus erzählerischen Gründen näher zusammengezogen. Manchmal haben wir mehrere Geschichten, wie die von dem Nachbarmädchen, das stirbt, zu einer Geschichte komprimiert.
Innocent Voices ist Ihr erster spanischsprachiger Film seit etlichen Jahren. Warum haben Sie ihn nicht in Englisch gedreht, was ja leichter gewesen wäre?
Es ist eine wahre Geschichte. Der Film sollte authentisch wirken; dafür musste er auf Spanisch gedreht werden. Es war damit schwer, das nötige Geld zusammenzubekommen und den Film in den USA zu verleihen. Aber er musste auf die richtige Art gemacht werden.
Zuvor haben Sie kostspielige Filme wie Message in a Bottle oder Eine fast perfekte Liebe in Hollywood gedreht. Mit wie viel Geld mussten Sie diesmal auskommen?
Ich hatte umgerechnet fünf Millionen Dollar, was sehr wenig für einen Hollywood-Film ist, aber sehr viel für einen mexikanischen Film. In den 16 Jahren in Hollywood habe ich viel Erfahrung gesammelt, die ich in das neue Projekt einbringen konnte. Zugleich musste ich aber auch lernen, ohne den Apparat einer Studio-Produktion auszukommen. Es war also eine Art handgemachter Film, bei dem ich mich mit vielen handwerklichen Fragen befassen musste.
Was hat Sie an dem Stoff besonders angesprochen?
Auch wenn der Film im Krieg spielt, ist er kein Kriegsfilm. In Kriegsfilmen ziehen üblicherweise die Männer in den Kampf. Mein Film handelt von denen, die zurückbleiben: Kinder und Frauen. Er wird mit den Augen eines Kindes erzählt und ist daher wie eine emotionale Reise, denn Kinder wechseln ihre Gefühle in jedem Augenblick. Der Film zeigt vor allem den Kontrast zwischen dem Schrecken der Schießereien und der Magie der Kinder, die sich auf den Hüttendächern verstecken und die Sterne zählen und so für Momente aus dieser Wirklichkeit herauskommen.
Halten Sie Innocent Voices für Ihren wichtigsten Film?
Ja, er macht uns große Probleme der Welt bewusst. Er zeigt die Folgen des Krieges. Er bringt Kinder in Verbindung mit dem, was in der Welt vorgeht, und verändert ihr Bewusstsein. Uns Erwachsene erinnert er daran, dass wir einmal Kinder waren und immer noch ein Kind tief in uns drin steckt. Wir leben in einem Zustand der Betäubung, in dem nichts mehr zu uns durchdringt und wir nichts mehr spüren. Es passiert so viel auf der Welt, man sieht es in den Nachrichten, tut aber nichts. Wir hören, dass eine Million Menschen im Sudan getötet wurden, und sagen nur okay. Ich glaube, dass mein Film die Menschen wachrütteln kann. Es geht nicht um Zahlen und Statistiken, sondern man fühlt mit diesen Kindern mit. Man nimmt zur Kenntnis, dass derzeit 300.000 Kinder in Armeen kämpfen, aber wenn man den Film sieht, hat man einfach stärkere Gefühle.
Im Mittelpunkt des Films stehen Kinder. Haben Sie den Film auch hauptsächlich für junge Zuschauende gedreht?
Darüber habe ich nicht nachgedacht. Aber als ich den Film geschnitten habe, fragte mein achtjähriger Sohn, ob er ihn sehen darf. Ich habe ihn darauf hingewiesen, dass der Film einige harte Szenen enthält. Mein Sohn sagte, wenn er zu hart sei, mache er die Augen zu. Hinterher fragte ich ihn, ob er die Augen schließen musste. Er verneinte und wollte ihn noch mal sehen. Seitdem hat er ihn schon mehr als 15 Mal gesehen. Als der Film in Mexiko im Kino anlief, hat er ihn allen seinen Freunden empfohlen. Ich habe von meinem Sohn gelernt, dass wir Kinder oft unterschätzen. Sie haben viel mehr Verständnis und Mitgefühl für andere Menschen als wir glauben. Zugleich bringt ein Film wie dieser sie in Zeiten, in denen Kinder mit Nintendo und dem Internet-Chat leben, zurück zu ihrer eigenen Menschlichkeit. Und es weckt etwas in ihnen. Ich denke, es ist ein Film für Kinder, selbst für solche unter 14 Jahren.