Frankfurt an der Oder gerät oft in die Schlagzeilen aufgrund seiner erhöhten und besonders gewalttätigen Neonazi-Aktivitäten. Der Umzug aus Frankfurt am Main in die desolate Stadt an der Grenze zu Polen wirkt für den 16-jährigen Georg daher wie ein Kulturschock. Bei seinem Einstand in der neuen Schulklasse wird er auch gleich von Thomas, dem Anführer eines Trios rechtsextremer Jugendlicher, herausgefordert: "Bist du rechts oder links?" Regisseur Mirko Borscht geht in seinem Debütfilm der brisanten Frage nach, warum sich Jugendliche den Rechtsextremen anschließen. Er zeigt anhand von Georg einen möglichen individuellen Werdegang. Borscht und die Drehbuchautorin Jana Erdmann haben mit Georg eine Figur entworfen, die angenehm von gängigen Klischees wie familiärer Arbeitslosigkeit, Armut oder Alkoholismus abweicht und sich trotzdem glaubwürdig und nachvollziehbar zum gesellschaftlichen Außenseiter wandelt.
Kombat Sechzehn
Wider gängige Klischees
Georgs allein erziehender Vater ist Architekt und soll in Frankfurt an der Oder ein Bauprojekt betreuen. Vor seinem Wechsel vom Westen in den Osten Deutschlands steht Georg mit beiden Beinen auf der Erde. Taekwondo ist seine Welt, durch diesen Kampfsport hat Georg einen festen Freundeskreis und klare Werte. Den Leitsatz "Das eigentliche Ziel des Krieges ist der Frieden" hat ihm sein afroamerikanischer Trainer mit auf den Lebensweg gegeben. Der hessische Meistertitel ist für den ambitionierten und disziplinierten Kämpfer bereits in greifbarer Nähe. Durch den Umzug verliert Georg jedoch den Halt im Leben. Er kann nicht wie gewohnt trainieren, er findet keinen passenden Verein, keine Gleichgesinnten oder Freunde. Nur wenig Trost findet er auch bei seiner im Westen gebliebenen Freundin Jasmin, die er nur selten im Chat antrifft oder am Telefon erreicht.
Schwierige Neuorientierung
Trotzdem lässt sich Georg nicht von Thomas und seiner Bande klein kriegen. Bei einer Schlägerei besiegt er alle drei und findet immer entwaffnende Argumente gegen die rechtsextremen Parolen von Thomas. Diesem imponiert sehr, dass Georg alleine, ohne Rückhalt einer Gruppe, Mut und Stärke zeigen kann und durch das Taekwondo-Training seine körperlichen und mentalen Kräfte konstruktiv einzusetzen weiß. Um den "Wessi" für seine Truppe zu rekrutieren, bietet er Thomas einen Trainingsraum an. Georg nimmt das für ihn existenziell wichtige Trainingsangebot an und gerät so in den Sog der rechtsextremen Clique. Dann kommt es für Georg ganz schlimm: Der Traum vom hessischen Meistertitel platzt, weil sein Vater ihn ohne sein Wissen und Einverständnis vom alten Verein abgemeldet hat. Obendrein erwischt er bei einem Spontanbesuch in Frankfurt am Main auch noch Jasmin in flagranti mit einem anderen Jungen. In dieser Situation, in der er sich von allen anderen verlassen und verraten fühlt, bleibt ihm nur noch Thomas als Bezugsperson. Dieser scheint der Einzige zu sein, der zu ihm steht.
Innensichten
Die Entwicklung Georgs wird nicht in einer dokumentarischen Außenansicht, sondern von seinem Innenleben heraus gezeigt. So erklärt sich auch, dass alle Erwachsenen im Film zu eindimensionalen Karikaturen verzerrt sind: Georg sieht in seinem Vater nur den karrieregeilen Egoisten, der über seinen Kopf hinweg Entscheidungen trifft und ihn dann mit den Konsequenzen alleine lässt. Seine Lehrerin ist mit dem Chaos in ihrer Klasse völlig überfordert und unfähig, in die destruktiven Strukturen einzugreifen. Auch die Kamera folgt Georgs Wahrnehmung der Welt um ihn herum. Am Anfang des Films begleitet sie ihn bei seinen Streifzügen durch die urbane Wüste und zeigt ihn mit weiträumigen Totalen und ruhigen Einstellungen in seiner Einsamkeit und Entfremdung. Je weiter Georgs Identitätsverlust voranschreitet, desto blaustichiger, grobkörniger und unruhiger gerät das Bild. Dröhnende, harte Musik und schnelle Schnitte treiben nun die Handlung voran. Mit dieser Videoclip-Ästhetik wendet sich die Coming-of-Age-Geschichte ganz eindeutig an Jugendliche.
Schwächen und Stärken des Films
Der Film hat dramaturgische Schwächen, beispielsweise stimmen inhaltliche Anschlüsse nicht und katapultieren die Zuschauenden kurzfristig aus der Geschichte heraus. Bis auf Ludwig Trepte, als Thomas ausgesprochen leidenschaftlich und facettenreich, sind die Schauspieler/innen in der Zeichnung ihrer Charaktere bisweilen wenig transparent wie Florian Bartholomäi als Georg, oder übertrieben wie Falk Rockstroh als dessen Vater. Dennoch vermittelt sich Georgs innerer Wandel intensiv und realistisch über das allmähliche Entstehen der Freundschaft zu Thomas. Ist ihre Beziehung am Anfang noch auf Wettkampf angelegt – wer ist cooler, stärker, schlauer? – entdecken die beiden Heranwachsenden mit der Zeit eine Art Seelenverwandtschaft. Der privilegierte arrogante "Wessi" und der vorurteilsbehaftete chancenlose "Ossi" merken, dass sie sich in ihrem Gefühlsleben gar nicht so sehr unterscheiden. In einer zentralen Szene offenbart sich Thomas als zutiefst verzweifelt. Gemeinsam ist Georg und Thomas zugleich ihre ohnmächtige Wut. Diese ist auch ein Motor, sich der rechten Szene anzuschließen und deren Versprechungen von der vermeintlichen Erfüllung wahrer Werte wie Gerechtigkeit und Kameradschaft zu folgen. Georg wird nicht aus politischer Überzeugung vom toleranten, "multikulti"-gewöhnten Jugendlichen zum rechtsextremen Underdog. Seine Attitüde ist neben der Orientierung, die ihm das klare Weltbild der Rechten vermittelt, Protesthaltung gegen sein rücksichtsloses Umfeld, vor allem ist es die Rebellion gegen den Vater.
Ein Appell gegen die Ausgrenzung
Kombat Sechzehn zeigt, wie leicht Heranwachsende in die Fänge der Rechtsextremen geraten können, wenn die Rahmenbedingungen in ihrem Leben dafür gegeben sind. Er appelliert zugleich eindringlich dafür, auf gar keinen Fall von solchen Jugendlichen abzurücken, die sich in den Dunstkreis der rechten Szene begeben, so wie Georg es in seinem sozialen Umfeld erfährt. Sie geraten sonst leicht in einen Teufelskreis aus Gruppenzwang auf der einen und gesellschaftlichem Ausschluss auf der anderen Seite, aus dem sie womöglich nicht mehr herausfinden. Unverständnis und Ignoranz auf Seiten der "politisch Korrekten", die ihren Standpunkt nicht mehr hinterfragen müssen, machen es den Rechtsextremen leicht, ihren Nachwuchs zu rekrutieren, so Regisseur Borscht. Glücklicherweise sind Georg und Thomas intelligent und stark genug, um kurz vor der unausweichlichen Katastrophe zur Besinnung zu kommen und sich aus der rechten Szene zurückzuziehen. Ihre Geschichte findet einen kathartischen Abschluss, wenn sie am Ende des Films Taekwondo miteinander kämpfen. Was aber geschieht mit Thomas' alten Kumpels, die unter Alkoholeinfluss zu gemeingefährlichen Schlägern werden und bisher immer auf Thomas als Anführer und Denker angewiesen waren?
Autor/in: Stefanie Zobl, 01.06.2005