Kinofilmgeschichte
Kino-Film-Geschichte XXVI: Kämpfe mit Ring – Über Ehe und Familie als vermintes Territorium
In jedem Paradies sitzt die Schlange und nagt an den Wurzeln der Zufriedenheit – ganz besonders im Paradies der Zweisamkeit, das in der Ehe institutionalisiert wurde. Die meisten Filme über Zweisamkeit weigern sich jedoch, von der List der Schlange zu erzählen, sie enden mit dem Ja-Wort, das die Turbulenzen der Eheanbahnung im Stadium des Verliebtseins beschließt. Dann fällt der Vorhang und das Publikum verlässt den Kinosaal mit der Illusion, alles und alle seien von nun an "happy". Der italienische Filmemacher Federico Fellini wusste es besser, als er sagte: "Heirat ist nicht das Happy End – sie ist immer erst ein Anfang." Das wahre Ende einer Ehe kann sehr böse sein, und Scheidung ist manchmal eine Erlösung aus einem Krieg der Seelen, vielleicht sogar der Fäuste.
Effi Briest
Die Konstellation des Dreiecks
Als Traumfabrik hat das Kino stets eher die Illusionen genährt. Andererseits hat es sich vor allem in seinen frühen Tagen als mahnendes Medium verstanden, das auf die Bedrohung der ehelichen Zweisamkeit aufmerksam macht. Die Bedrohung liegt oft in einer dritten Person, die in die Ehe eindringt oder sie gar zerstört. Wie viele Ehemänner sind in der Filmgeschichte einem verführerischen Vamp verfallen! Wie viele Ehefrauen erlagen dem Charme eines Lebemanns! Die kritische Situation des Dreiecks dominiert den klassischen Ehefilm. In Erich von Stroheims Blind Husbands führt es 1919 zur Tragödie der Eifersucht. Ein amerikanischer Arzt durchschneidet auf einer Bergtour das Seil eines Leutnants, der mit seiner Frau flirtet. Erst danach liest er den Brief, der beweist, dass die Frau gar nicht verführbar ist. Erich von Stroheim hat als erster Regisseur die Fragilität der Ehe zum Thema mehrere Filme gemacht. Vielleicht wurden deswegen fast alle von der Zensur der Studios geschnitten.
Der Familientyrann
Doch der institutionelle – und nach katholischer Konfession sogar sakramentale – Binnenraum der Ehe ist nicht nur durch Eindringlinge von außen gefährdet. Er besteht aus einem empfindlichen Gleichgewicht von Emotionen, Rollenerwartungen und Machtverhältnissen. Geraten diese in Unordnung, so treten Verletzungen auf und das Liebesglück gerät aus den Fugen. Das kann zur Voraussetzung werden, um einen Dritten ins Spiel zu bringen, wie es die diversen Verfilmungen von Fontanes Roman
Effi Briest (Wolfgang Luderer, DDR 1970; Rainer Werner Fassbinder, BRD 1970) vorführen. Das einstmals gültige Rollenbild des Familienpatriarchen entartete durch reale (oder komödiantische) Übertreibung zum Typus des Familientyrannen:
In Ehret eure Frauen hat Carl Theodor Dreyer diesen Typus schon 1925 filmisch enttarnt und geheilt. Die sanfte, deswegen aber nicht weniger fragwürdige Variante des Typus hat Hendrik Ibsen in seinem Drama
Nora vorgestellt, das Joseph Losey 1973 mit Jane Fonda verfilmte. Hier wird die Frau mit süßen Kosenamen unterdrückt. Ihr Ausbruch aus dem Puppenheim erschüttert die patriarchalische Familienstruktur.
Wer hat Angst vor Virginia Wolff?
Kampfzone Ehebett
Bis in die 1960er-Jahre hinein wagten es nur wenige Filme, die Idee von Ehe und Familie als Keimzelle der Gesellschaft kritisch zu beleuchten oder gar infrage zu stellen. Erst mit den "Neuen Wellen" in Frankreich und Italien kamen liberale und emanzipierte Vorstellungen vom Arrangement der Geschlechter im Ehekontrakt zum Tragen. Michelangelo Antonioni zeigt 1964 in Die rote Wüste, wie eine hypersensible Ehefrau von ihrem Mann als Kranke behandelt und in die Verzweiflung getrieben wird, und Jean-Luc Godard beschreibt im selben Jahr in Eine verheiratete Frau den weiblichen Körper als ein von Männern okkupiertes Territorium. Ein Jahr später drehte Mike Nichols in Amerika den Film, der – wie bis dahin kein anderer – die Ehe als Kampfzone präsentiert: Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, nach dem Schauspiel von Edward Albee. Die grandiosen Schauspieler/innen Elizabeth Taylor und Richard Burton machen das Psychogeflecht von Hoffnungen und Enttäuschungen, von Illusionen und Verwerfungen, von verwundeten Gefühlen und eingeübten Hass-Ritualen hinter der Fassade einer Akademiker-Ehe erschreckend deutlich. Die Hölle, das ist der/die Ehepartner/in, kann man in diesem Fall einen Satz von Sartre variieren.
Der Riss in der Fassade
Seit Wer hat Angst vor Virginia Woolf? demonstriert das Kino den Riss in der Fassade der bürgerlichen Kleinfamilie immer wieder als Wunde. Diesbezüglich ein Meister ist der französische Regisseur Claude Chabrol. Viele seiner Filme – etwa Die untreue Frau (1968) oder Blutige Hochzeit (1972) – handeln davon, wie die Spannung zwischen den tatsächlichen Verwerfungen ehelicher Gefühle und dem Versuch, die Fassade davor zu erhalten, direkt ins Verbrechen führt. Dass die Dauer einer Ehe kein Garant für ihr Funktionieren ist, zeigt Pierre Grannier-Deferre 1970 in dem quälenden Kammerspiel Die Katze. Ein altes Paar hat weder die Kraft, sich zu trennen, noch sich zu ertragen. So verwandeln sie ihre Wohnung in einen Frontverlauf gegenseitiger Verletzungen.
Analysen des Scheiterns
Eher analytisch sind die deutschen Filmemacher Hans Rolf Strobel und Heinrich Tichawsky mit Eine Ehe (1968) sowie der schwedische Regisseur Ingmar Bergman mit Szenen einer Ehe (1973) an das Thema herangegangen. Beide Filme beschreiben, wie sich Beziehungen auflösen, weil Erwartungen nicht erfüllt werden. Hier kommt es nicht zu emotionellen Ausbrüchen wie bei Chabrol. Hier spielt eher die Lähmung eine Rolle, die eintritt, wenn zwei Menschen trotz guten Willens merken, dass ihre Gemeinsamkeiten aufgebraucht sind und sie hilflos in den Strudeln schrecklicher Alltäglichkeit auseinander driften.
Macht und Unterwerfung
Sind Psychologie und Soziologie die Fundamente dieser Analysen, so hat der deutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder in seinen Filmen eher Laborsituationen geschaffen, um Aussagen über das menschliche Zusammenleben zu machen. Die Ehe und ihre Abgründigkeiten sind ihm immer wieder Thema. In Händler der vier Jahreszeiten (1971) zeigt Fassbinder, wie ein Mann im Wirtschaftswunder-Deutschland die Anforderungen seiner Frau und ihrer Familie nicht erfüllen kann und deshalb in den Tod geht. Martha (1973) dagegen ist eine gnadenlose Studie über die Hörigkeit in der Ehe, über Macht und Unterwerfung, über Gewalt und Masochismus, die Geschichte einer Frau, die es lernt, ihre Unterdrückung zu lieben.
Das Fest
Scheidungs-Katastrophen
Nach Mike Nichols Anstoß aus den USA mit seiner Albee-Verfilmung hat vor allem das europäische Kino die Schattenseiten der Ehe ausgeleuchtet. In Nordamerika tat man sich damit schwerer, denn gerade für Hollywood gilt es immer noch, Ehe und Familie als geradezu sakramental zu bewahren. Zwar hat der US-Dramatiker Arthur Miller bereits 1949 mit
Tod eines Handlungsreisenden das gültige Stück über diese Lebenslüge geschrieben. Doch es wurde erst 1985 vom deutschen Regisseur Volker Schlöndorff verfilmt. So war es beinahe eine Sensation, als Robert Benton 1979 in
Kramer gegen Kramer vom Gelingen einer Scheidung trotz aller Schwierigkeiten erzählte. Mit Danny DeVitos
Der Rosenkrieg kam dann 1989 die große, in satirische Überzeichnung getriebene Zelebration einer ehelichen Zerfleischung auf die US-Leinwände. Doch das Gegensteuern das Mainstreamkinos ist augenfällig. Vor allem in Katastrophenfilmen von
Independence Day (1996) über
Twister (1996) bis zum aktuellen
Krieg der Welten (2005) dient das Desaster als Mittel, um Paare, die in Scheidung oder Trennung leben, doch wieder zu vereinen.
In der Schlangengrube
Während so die weltanschauliche Missionierung aus Hollywood andauert, hat man in Dänemark mit Thomas Vinterbergs
Das Fest (1997) offenbar jede Illusion über Ehe und Familie endgültig begraben. Die Institution erweist sich als Schlangengrube an Missbrauch, an Wegsehen, am Ertragen schlimmster Zumutungen. Die Fassade ist abgerissen. In diesem Film wie in der sozialen Wirklichkeit muss man das Zusammenleben von Menschen ganz vorsichtig und vielleicht auch neu organisieren.
Autor/in: Herbert Heinzelmann, 21.09.2006