Hintergrund
"Judendeportationen" aus der Reichshauptstadt Berlin
Diskriminierung und Verfolgung
Die Regierungsübernahme Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 bedeutete für die im deutschen Machtbereich lebende jüdische Minderheit von etwa 500.000 Menschen den Beginn der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Diskriminierung, ihre Entrechtung und nahezu völlige Enteignung. Dies geschah beispielsweise durch Berufsverbote, Ausbürgerungen und ab September 1941 durch das Tragen des gelben "Judensterns". Die im September 1935 verabschiedeten Nürnberger Gesetze definierten nach "rassischen" Kriterien, wer als Jude galt und legalisierten die Verfolgung aller Juden.
Bis 1941 zielte die Politik der NS-Machthabenden auf die Vertreibung jüdischer Menschen aus Deutschland. Im Herbst 1941 wurde ihnen mit der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen und ihr Vermögen verfiel automatisch an den Staat. Gleichzeitig wurde die Auswanderung verboten und stattdessen begann die planmäßige Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Reich Richtung Osteuropa: in das Ghetto in Łódż, nach Riga und nach Minsk. Bis Ende 1941 sollte das Ziel eines "judenfreien" Deutschlands erreicht sein. Nach dem erzwungenen Exil der Juden und dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941, wodurch weitere Hunderttausende jüdischer Menschen in den deutschen Machtbereich gelangten, gipfelte die NS-Judenpolitik in deren gezielter Vernichtung
Systematische Deportationen
Im Oktober und November 1941 wurden auf Befehl des Reichssicherheitshauptamtes über 20.000 Menschen aus Berlin und weiteren deutschen Städten sowie aus Prag – im 1939 besetzten "Protektorat Böhmen und Mähren", also der zerschlagenen Tschechoslowakei – abtransportiert. Im Frühjahr 1942 begann der systematische Massenmord in den seit Herbst 1941 errichteten Tötungsstätten wie Chełmno im Warthegau oder Bełżec an der Eisenbahnlinie Lublin-Lemberg. Mit der sukzessiven Besetzung Europas gelangten weitere Hunderttausende Juden in den Machtbereich der NS-Machthaber. Ende Mai 1942 entschied Hitler die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung aus dem "Altreich" (Deutschland in den Grenzen von 1937). Seit Herbst 1942 steuerten die Züge das im Mai 1940 errichtete Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz an, das etwa 60 Kilometer westlich von Krakau gelegen war.
Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie
Im September 1941 lebten rund 160.000 "Rassejuden" im Altreich, Anfang 1943 noch etwa 51.000. Der größte Teil von ihnen leistete in Berlin Zwangsarbeit, von denen rund 15.100 Menschen aufgrund des Arbeitskräftemangels in Rüstungsbetrieben eingesetzt wurden. Da sie kriegswichtige Arbeiten verrichteten, waren sie vorerst von den Deportationen ausgenommen, das gleiche galt für Personen, die in jüdischen Einrichtungen wie in der 1939 gegründeten Zwangsvereinigung "Reichsvereinigung der Juden in Deutschland", in jüdischen Waisenhäusern oder Altersheimen administrative oder pflegerische Funktionen ausübten.
Der Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung Joseph Goebbels notierte am 18. Februar 1943 in sein Tagebuch: "Ich habe mir zum Ziel gesetzt, bis Mitte, spätestens Ende März Berlin gänzlich judenfrei zu machen." Hitler befahl nun auch die Deportation der jüdischen Zwangsarbeiter/innen aus Berlin bis spätestens Ende März 1943. "Geltungsjuden" (so genannte Mischlinge I. Grades) und jüdische Partner/innen, die in "Mischehe" lebten, waren noch nicht betroffen. Sie wurden ab Januar 1945 nach Theresienstadt deportiert. Im Anschluss an die reichsweit einsetzende "Fabrik-Aktion", mit der die letzten jüdischen Rüstungsarbeiter/innen aus den Firmen entfernt und gegen Fremdarbeiter/innen ausgetauscht werden sollten, verließen Züge der Reichsbahn die "Verladestelle" am Bahnhof Berlin-Grunewald mit dem Ziel Auschwitz.
Der letzte Zug
Der "37. Osttransport", auf den Joseph Vilsmaier und Dana Vávrová in ihrem Film Der letzte Zug verweisen, fuhr am 19. April 1943 in Berlin los und war einer der letzten Deportationstransporte. 681 Menschen wurden nach Auschwitz verbracht, nicht ausschließlich Berliner Juden, sondern unter anderem auch elf Personen aus den Niederlanden. Bei der Ankunft in Auschwitz-Birkenau wurde knapp die Hälfte der Deportierten als Häftlinge registriert, die anderen wurden sogleich in den Gaskammern getötet. "Auschwitz erreichte an diesem Tag ein Transport aus Berlin mit 1.000 Menschen, eventuell waren auf der Fahrt weitere Waggons angehängt worden", so die Autorin Danuta Czech, deren Vater in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert war. Ende des Jahres 1944 waren die Deportationen aus dem "Großdeutschen Reich" nahezu abgeschlossen. Der letzte Transport aus Berlin verließ die Stadt am 24. November 1944 und brachte wahrscheinlich 27 Menschen nach Auschwitz. Zwar waren die Massentötungen durch Zyklon B zu diesem Zeitpunkt bereits eingestellt. Bis zur Befreiung am 27. Januar 1945 durch die Rote Armee starben die Häftlinge jedoch weiterhin durch Erschießungen, Hunger oder Krankheiten.
Die "Judenrampe" in Auschwitz
Transporte, die den Bahnhof Auschwitz (polnisch: Oświęcim) erreichten, trafen bis 1942 in der Regel auf einem Bahngleis in der Nähe des Stammlagers ein. Mit der Ankunft zahlreicher Massentransporte mit jüdischen Menschen wurden die Züge auf ein Bahngleis in der Nähe von Birkenau gelenkt, das als "Judenrampe" bezeichnet wurde. Mitte Mai wurden die Gleise bis vor die Krematorien II und III in Birkenau verlegt, da mit der Besetzung Ungarns über 400.000 weitere ungarische Juden in das Konzentrationslager kommen sollten. Bereits bei der Ankunft waren schon einige Deportierte aufgrund der katastrophalen Transportbedingungen in den Zügen umgekommen. Die Menschen wurden nach ihrer Ankunft unter Schlägen und Gebrüll von SS-Männern aus den Waggons getrieben und in zwei Reihen nach Geschlechtern getrennt aufgestellt. Säuglinge und Kinder bis zu einem Alter von etwa 14 Jahren verblieben bei ihren Müttern.
Ab Juli 1942 wurden Juden nach dem Kriterium ihrer Arbeitsfähigkeit selektiert. Lediglich etwa 20 Prozent der Ankommenden wurden als Häftlinge registriert. Alte, Kranke, Schwache und vor allem Kinder wurden meist sofort von dem Rest der Gruppe separiert und direkt in die Gaskammern getrieben. Seit 1942 waren im KZ Auschwitz Vernichtungsstätte und Konzentrationslager kombiniert. Auschwitz wurde zur größten Stätte des Völkermords an den europäischen Juden und den als "Zigeuner" Verfolgten. Zwischen Mai/Juni 1940 und Januar 1945 registrierte die Lager-SS 400.000 Gefangene, davon etwa 270.000 Männer und seit März 1942 mehr als 130.000 Frauen. Mindestens 1,1 Millionen Menschen sind im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ermordet worden, fast 900.000 Deportierte wurden gleich nach ihrer Ankunft in den Gaskammern durch Giftgas getötet.
www.shoah.de
Deutschsprachiges Internetportal zu den Themen Shoah und Holocaust
www.chotzen.de
Ein biografisches Porträt der deutschen jüdischen Familie Chotzen
Literaturhinweise
Autor/in: Verena Walter, 09.11.2006
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