Hintergrund
Kampfkünste
Zur Choreografie von Kampfszenen in Martial-Arts-Filmen
Den Kampf hören
Eine Kampfsequenz aus einem klassischen Martial-Arts-Film lässt sich leicht an ihren Geräuschen erkennen. Da ist das "Klingklongklang!" der Schwerter, die aufeinander schlagen. Da ist das lang gezogene "Wuuuschsch!", das die Körper der Kämpfer/innen, und das "Knatterknatter!", das ihre Gewänder verursachen, wenn sie sich im Flug durch die Luft winden. Da sind die energetischen Angriffsschreie und die Treffer signalisierenden Stöhnlaute der Kämpfenden. Und da sind natürlich jene Geräusche, die das Aufeinanderprallen von Gliedmaßen begleiten. Dumpf, rhythmisch und schnell, wie Schläge auf einen Sandsack.
Wie nicht von dieser Welt
Hero (Hongkong, China 2002)
Die Tonebene einer Martial-Arts-Sequenz ist die lautmalerische Entsprechung des akrobatischen Geschehens, das dazu auf der Bildebene aufgeführt wird. Die Beteiligten springen wie Gummibälle, fliegen wie Vögel, schlagen und verteidigen sich schnell wie der Blitz, handhaben Waffen als seien diese mit ihnen verwachsen. Wie nicht von dieser Welt erscheinen diese schwerelosen Kämpfer/innen in ihren Auseinandersetzungen. Doch der Schein trügt: Es stecken Arbeit, Training, Disziplin und Körperbeherrschung hinter dem fulminanten Gewirbel – und einige
Tricks.
Hilfe aus der Trickkiste
Ti Lung, Chun Shih und Cheng Pei Pei, die Darsteller/innen der Martial-Arts-Klassiker der Regisseure Chang Cheh und King Hu, würden keinen Meter vom Boden abheben, wären da nicht die auf dem Set gut versteckten Sprungbretter und Trampoline, hätten sie nicht die Unterstützung der so genannten Wire-Works-Spezialisten/innen, die die Akteure/innen an Drähten aufgehängt durch die Luft ziehen und ihre Flugbahnen lenken, auf denen sie Posen einnehmen und Figuren vollführen.
Drahtseilakte
Diese mechanische Tricktechnik des filmischen Drahtseilaktes wurde vom Aufkommen moderner Computertechnologie nicht verdrängt. Auch die Brüder Andy und Larry Wachowski und Quentin Tarantino, deren
Matrix-Trilogie (USA 1999-2003) oder dessen
Kill Bill-Zweiteiler (Kill Bill Vol. 1 und Vol. 2, USA 2003 und 2004) wohl als die leidenschaftlichsten westlichen Aneignungen von Martial-Arts-Elementen gelten, holten sich mit Yuen Woo Ping und dessen Stunt-Team Fachleute aus dem Fernen Osten, die die Choreografien der Kampfszenen sowie Training und Einweisung der Schauspieler/innen übernahmen.
Unterschiede Ost-West
Beim Vergleich einer klassischen chinesischen mit einer modernen westlichen
Martial-Arts-Filmszene fällt allerdings die unterschiedliche Länge der Einstellungen auf. King Hu und Chang Cheh können sich lange Aufnahmen und
Totalen leisten, weil vor ihren Kameras in Kampfkünsten geübte Darsteller/innen agieren. Die Wachowskis und Tarantino dagegen müssen schnell und geschickt schneiden, um etwaige Patzer und Holprigkeiten zu kaschieren, da auch ein mehrmonatiges Training aus Keanu Reeves oder Uma Thurman keine Kung-Fu-Meister oder Meisterin machen kann (und erst recht nicht aus
Karate Kid-Darsteller Jaden Smith). Interessant ist auch, dass in den Adaptionen des Westens häufig eine antreibende
Filmmusik die oft sehr poetische Geräuschkomposition einer traditionellen Martial-Arts-Sequenz ersetzt, was durchaus mit der unterschiedlichen
Schnittfrequenz und damit inneren Geschwindigkeit der Szene zusammenhängt.
Ästhetisierungen
Den Gegenpol zum schnellen
Schnitt bildet oft die (Super-)Zeitlupe, die besonders graziöse Bewegungsabläufe genießerisch dehnt. Perfektioniert wurde dieser Effekt in
Matrix vom Kamerateam der Wachowskis, die mit Hilfe von mehreren Einzelbild- und Bewegtfilmkameras den Eindruck einer 360°-
Kamerafahrt erreichten. Dieser "Bullet Time"-Effekt ging in die Filmtechnikgeschichte ein. Der Einsatz dieser speziellen Aufnahmeverfahren, die Durchführung von Drahtseil-Stunts vor einer Green oder Blue Screen oder das Einfügen von computergenerierten Bildern (CGI) sind jedoch keine auf den Westen beschränkten Hilfsmittel, die das Geschehen noch spektakulärer wirken lassen. Deutlich wird das unter anderen in jüngeren Filmen von Zhang Yimou, etwa in
Hero (Ying xiong, Hongkong, China 2002) oder in
House of Flying Daggers (Shi mian mai fu, China, Hongkong 2004), wo er mit Hilfe von Computer-Effekten nicht nur sein Faible für Massenszenen, sondern auch einem bedingungslosen Ästhetizismus auslebt.
Schauwerte und Inhalte
Fightgirl Ayse (Dänemark 2007)
Die die Kinetik betonenden Kampfszenen bieten beträchtliche Schauwerte, sind aber keineswegs immer nur Sinn und Zweck der Filme. Eine (westliche) Martial-Arts-Adaption wie etwa
Fightgirl Ayse (Fighter, Natasha Arthy, Dänemark 2007) zieht alle Register – von bodenständigen Kung-Fu-Kämpfen über
Zeitlupen-Zeitraffer-Aufnahmen bis hin zu komplexen Drahtseil-Bewegungen –, um von der Emanzipation eines türkischen Mädchens zu erzählen. Sowohl die Künstlichkeit der in ihnen zum Ausdruck kommenden Gewalt als auch die eher abstrakte dramaturgische Funktion, die den Kampfszenen zukommt, erklärt sich durch die Verwurzelung von Martial-Arts in der Peking Oper: einer Hunderte von Jahre alten, ebenso spektakulären wie hoch stilisierten Theaterform, die Gesang, Tanz, Spiel und Kampf verbindet, um Melodramen, Mythen oder historische Ereignisse in Szene zu setzen. Dementsprechend kommt dem Kampf als äußerer Gestaltung inneren Erlebens im Kontext der jeweiligen Geschichte zentrale Funktion zu, wobei es selbstverständlich auch "Knochenbrecher"-Filme gibt, in denen die Kämpfe als reine Actionelemente fungieren, oder auch Filme wie die beiden
Karate Kid-Verfilmungen von 1984 und 2010, deren Kampfszenen trotz schneller
Bildmontage vergleichweise bodenständig wirken, weil sie auf spektakuläre Luftakrobatik verzichten.
Kampfmaschinen
Selbst in einem Bruce Lee-Film wie Todesgrüße aus Shanghai (Jing wu men/Fist of Fury, Wei Lo, Hongkong 1972), in dem der Held kämpft, um zu töten, muss die von ihm ausgeübte Gewalt zunächst legitimiert werden. Lee-Helden schlagen erst zu, wenn ihnen Nahestehende bedroht werden. Dann allerdings explodiert die Leinwand. Chang Cheh wiederum nutzt in einem Film wie Die Blutsbruder des gelben Drachen (Ci Ma/Blood Brothers, Hongkong 1973) den Massenkampf als Zirkusarena, in der er den Tod seiner schönen männlichen Helden mit geradezu wagnerhafter Opulenz in Szene setzt.
Tödliche Schönheit, schöner Tod
Demgegenüber dient in King Hus Meisterwerk
Ein Hauch von Zen (Xia nu/A Touch of Zen, Taiwan 1969) eine der zentralen Szenen, in der Hunderte feindlicher Soldaten fallen, der Läuterung des Helden, eines Schreibers und Gelehrten, der den Kampf als intellektuelle Herausforderung und nicht als menschliches Drama begreift. Diese Figur bringt das Dilemma, das einen angesichts einer gut choreografierten Martial-Arts-
Sequenz überfallen kann, wunderbar auf den Punkt: Am Morgen nach dem Kampf wandert er über das Schlachtfeld und freut sich über das Gelingen seines Plans – bis ihm die Dimension des stattgefundenen Mordens dämmert und ihm das Lachen vergeht. So viel Schönheit, so viel Tod.
Autor/in: Alexandra Seitz, freie Journalistin und Filmkritikerin, 20.06.2010
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.