Ein wenig erinnert die Silhouette des Mannes mit der über den Kopf gezogenen Kapuze und dem wehenden Umhang an Batman, den ikonischen düsteren Antihelden aus den
DC-Comics. Doch auf seiner Brust prangt kein Fledermaussymbol. Sein Erkennungsmerkmal ist vielmehr das schwarz-gelbe Logo auf seinem Gürtel, das auf eine radioaktive Gefahr hinweist. Und mit Strahlungen kennt sich dieser Superheld aus – wie auch Donald, sein 15-jähriger Zeichner, der an Krebs erkrankt ist und durch die Chemotherapie längst alle Haare verloren hat. In seinen Comics und Graffiti verleiht er seiner Wut auf die Krankheit, auf die Ärzte mit ihren Spritzen und seiner Angst vor dem Sterben ein Gesicht.
Am Ende eines viel zu kurzen Tages jedoch zeigt nicht nur, dass Donald zeichnet, sondern versetzt das Publikum mit mehreren
Animationssequenzen direkt hinein in das postapokalyptische Comic-Szenario, das sich Donald ausgedacht hat. Und dabei geht es dem Regisseur nicht um den selbstzweckhaften Effekt oder eine betont jugendaffine Inszenierung. Der fließende Übergang zwischen
Animation und Realfilm ist mit der dramaturgischen Zuspitzung der Handlung sowie der Entwicklung von Donald eng verwoben und wird somit zum elementaren Stilmittel des Films.
In bester Tradition von Comic-Autoren/innen wie Marjane Satrapi (
Persepolis), Keiji Nakazawa (
Barfuß durch Hiroshima) oder David B. (
Die heilige Krankheit) verarbeitet Donald in seinen Zeichnungen reale biografische Erfahrungen. Seine Fantasy-Comics zeigen, wie der junge Mann seine Welt erlebt und wie er sie sich erklärt, wonach er sich sehnt und wovor er sich fürchtet. Sie sind eine Art metaphorischer Seelenspiegel. Der Superheld im Zeichen des Atoms ist dabei sein Alter Ego – und wenn auch Donald in Wirklichkeit eher schmächtig wirkt, so verbindet ihn zumindest der kahle Kopf äußerlich mit der Comicfigur. Stark und tapfer wirkt dieser Typ, der deswegen von den Frauen umschwärmt wird – trotzdem ist auch er nicht unverletzlich. Damit entspricht seine Charakterisierung dem Bild, das seit Frank Millers Batman-Neuinterpretation in der Graphic Novel
The Dark Knight Returns aus dem Jahr 1986 (deutsch: Die Rückkehr des dunklen Ritters) die Superheldenwelt bestimmt: Seither ist der Superheld nicht mehr unverwundbar. Im Gegenteil: Zunehmend wird seine tragische Seite ausgelotet und seine Schwächen kommen zum Ausdruck. Auch Donalds Alter Ego steht in dieser neuen Tradition.
Denn wie ein strahlender Held sieht er trotz seines muskulösen Körpers nicht aus. Und weil die Liebe ihn noch mehr schwächen würde, darf er daran erst gar nicht denken. Die Rolle des Gegenspielers übernimmt in Donalds Fantasien der wahnsinnige Arzt Dr. Glove, der mit seinem vernarbten Gesicht an das von Boris Karloff gespielte Monster Frankensteins (
Frankenstein, James Whale, USA 1931) erinnert (auch wenn er weitaus agiler handelt) und mit seinen Scherenhänden an Freddy Krueger aus der Reihe
A Nightmare on Elm Street (Wes Craven u.a., USA 1984-1994). An Dr. Gloves Seite steht die körperbetonte Sadomaso-Fantasie einer Krankenschwester in knappem Lack-und-Leder-Kostüm, die den Superhelden mit ihren Spritzen bedroht. Manchmal tauchen gar mehrere selbstbewusst-aggressive Frauen mit Teufelsschwänzen auf, die den Helden verführen wollen. So finden sich die Krankenhauserfahrungen von Donald sowie sein Wunsch nach – und seine Angst vor – dem ersten Sex symbolisch auch in seinen Comics wieder.
Aus Donalds Zeichnungen spricht ein wütender junger Mann, der nach Bildern für seine Gefühle sucht. Kein Wunder also, dass sein Zeichenstil so unfertig, grob und rau ist. Während beispielsweise die Zeichentricksequenzen in
Lola rennt (Tom Tykwer, Deutschland 1998) poppig-bunt gestaltet sind, orientieren sich die
Animationen in
Am Ende eines viel zu kurzen Tages mit den starken Kontrasten und der matten Farbgestaltung an dynamischen Straßengraffiti und am Noir-Look. Letzerer wurde im Comicbereich sowohl durch die abstrakten scherenschnittartigen Schwarzweißillustrationen von Frank Miller in der
Sin-City-Reihe sowie der Verfilmung
Sin City (USA 2003) durch Miller und Robert Rodriguez als auch in der minimalistischen Figurengestaltung von Mangas und
Animes zum Äußersten getrieben. Gerade durch die ästhetische Nähe zu diesen vor allem bei Jugendlichen beliebten Stilen wirkt Donalds Comicwelt authentisch und glaubwürdig.
Geschickt führt der Film die
animierte Geschichte des Superhelden als eigenständige Parallelhandlung ein, die jedoch auf Donalds Situation und Gedanken Bezug nimmt. Auf eine Chemotherapie etwa folgt die animierte Horrorversion, in welcher der wahnsinnige Arzt zur Operation des Superhelden ansetzt. Ein Rückschlag in der Genesung wird später begleitet von einer Szene, in der Dr. Glove bereits den Tod des Helden vorhersagt und ein Kreuz in sein Grab rammt. Noch sind diese Sequenzen eine Fantasie von Donald, mit der er kreativ auf die psychischen Belastungen reagiert und sie damit für sich begreifbar macht. Und auch die akustische Ebene bereitet zu diesem Zeitpunkt das Publikum immer wieder durch dieselbe Abfolge von Beats und Gitarrenriffs auf den Wechsel der Realitätsebenen vor. Doch allmählich wird diese Gewissheit aufgelöst und die fiktiven Figuren entziehen sich der Kontrolle von Donald. Eines Abends etwa sitzt plötzlich der animierte Dr. Glove am Schreibtisch von Donalds Mutter im Wohnzimmer und kommentiert zynisch deren Bemühungen, im Internet Heilmöglichkeiten für Krebs zu finden.
Ihren Höhepunkt jedoch findet die Vermischung von Fantasiewelt und Realität, als Dr. Glove in einem Traum von Donald nicht mehr den Superhelden angreift und mit seinen Scherenhänden aufschlitzt, sondern Donald selbst. Längst hat sich der Gegner verselbstständigt. Und es ist genau dieser Moment, in dem der Film unmissverständlich deutlich macht, wie ernst seine Geschichte trotz der ansprechend unkonventionellen Inszenierung ist. Donald wacht auf und hat Todesangst. Seine Fantasien bieten ihm keine Zuflucht mehr. Später wird sich Donald in der realen Welt seinen Gefühlen für Shelly stellen und erfahren, dass ihn die Liebe entgegen seinen Befürchtungen nicht schwächt, sondern stärker macht.
Autor/in: Stefan Stiletto, Medienpädagoge mit Schwerpunkt Filmkompetenz und Filmbildung, 20.08.2012
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