Hintergrund
Großwerden in der (Groß-)Stadt
Kinder und Jugendliche im Lebensraum Stadt
Heranwachsen bedeutet, sich die Welt zu erobern, sie verstehen zu lernen und seinen eigenen Platz darin zu finden. Was brauchen Kinder und Jugendliche in der Stadt, damit dieses Heranwachsen gelingt? Was macht eine kinder- und jugendgerechte Stadt aus? Diese Fragen sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend in das Blickfeld von Planern/innen, Wissenschaftlern/innen und auch Entscheidungsträgern/innen gerückt. Dies war zunächst vor allem eine Reaktion auf wachsende Probleme in den Großstädten, die gerade Kinder und Jugendliche betrafen und immer noch betreffen. Hierzu zählt vor allem der Autoverkehr, der Heranwachsenden eine eigenständige Mobilität erschwert oder gar unmöglich macht. Aber auch die in der Nachkriegszeit vielfach realisierte Trennung städtischer Funktionen – vor allem von Wohnen und Arbeiten – als Lösung für eine effiziente, moderne Entwicklung wurde zunehmend als ungeeignet im Bemühen um lebendige Städte erkannt. Monotone Wohnsiedlungen und der zunehmende Verkehr schränken gerade auch für Kinder und Jugendliche die Lebensqualität in den Städten ein.
Negative Trends
Angesichts dieser Entwicklungen ließ und lässt sich der Rückzug von Kindern und Jugendlichen aus dem Außenraum beobachten, in der Fachdiskussion als "Verhäuslichung" beschrieben. Zudem sind viele Orte, die Kinder und Jugendliche nutzen, wie "Inseln" im Stadtraum verteilt, zwischen denen die Eltern sie (nicht selten mit dem Auto) hin- und herbringen müssen (Stichwort "Verinselung"). Proteste gegen "Kinder-Lärm" und die Kommerzialisierung öffentlicher Räume tun ein Übriges, um Kinder und Jugendliche aus urbanen Räumen zu verdrängen.
Kinder- und jugendgerechte Städte
Ausgehend von diesen Beobachtungen wurden und werden in der Fachdiskussion und in der Planung zahlreiche Aspekte einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt formuliert und entsprechende Initiativen auf den Weg gebracht. Eine zentrale Forderung ist dabei die nach Verkehrsberuhigung und dem Vorrang von Rad- und Fußgängerverkehr, damit (nicht nur) Kinder und Jugendliche sich sicher durch die Stadt bewegen können. Auch die Notwendigkeit von Freiräumen, die zum Bewegen, Spielen und Experimentieren einladen, steht ganz oben auf der Liste. Dabei geht es bei weitem nicht nur um Spielplätze. In einer bespielbaren Stadt, so das planerische Konzept, rücken vielmehr die Nutzbarkeit, die Bespielbarkeit und auch die Veränderbarkeit unterschiedlichster Räume ins Blickfeld. Eine weitere Forderung ist die nach vielfältigen Erfahrungsräumen und lebendigen, gemischten Nachbarschaften, in denen Kinder und Jugendliche Zugang zur Arbeitswelt und zur sozialen Wirklichkeit haben, in der sie Formen des Zusammenlebens und der Aushandlung unterschiedlicher sozialer Gruppen kennenlernen. "Kinder brauchen Stadt", so der Titel und zugleich das Fazit der "Tübinger Erklärung" von Pädagogen/innen, Planern/innen, Wissenschaftlern/innen und Entscheidungsträgern/innen, die diese Forderung 1995 verdeutlichte.
Freiräume in der Stadt
Darüber hinaus bedarf es überschaubarer Nachbarschaften und einer gewissen sozialen Kontrolle, damit auch jüngere Kinder sich selbständig im Umfeld ihrer Wohnung bewegen können. Zugleich ist es wichtig, auch Experimentierräume zuzulassen, deren Nutzung nicht vorbestimmt ist, sondern zum Ausprobieren und zur Neuinterpretation einladen. Gerade für Jugendliche gilt: Ein bisschen Dschungel muss sein, denn eine vorgefertigte, bis ins Detail definierte Welt lässt sich schlecht erobern. Bei diesen Ansätzen werden Kinder vor allem in der Rolle der zu "Beplanenden" gesehen, denen (von der Erwachsenenwelt) angemessene Rahmenbedingungen geboten werden müssen. Natürlich kommt den Erwachsenen eine große Verantwortung zu, Kindern und Jugendlichen ein gutes Heranwachsen zu ermöglichen und den Rahmen dafür zu schaffen.
Das A und O: Beteiligung
Und doch greift man zu kurz, wenn man lediglich für Heranwachsende plant, ohne sie direkt zu beteiligen - nicht nur vor dem Hintergrund, dass das Kinderrecht auf Beteiligung seit mehr als 20 Jahren in der UN-Kinderrechtskonvention verankert ist, die auch Deutschland ratifiziert hat. Kinder – und erst recht Jugendliche – sind keine passiven Nutzer/innen von städtischen Räumen. Durch ihr Spiel, ihre (Neu)Interpretation von Räumen, ihre Aneignung oder Verweigerung bestimmter Räume prägen sie diese auch mit. Gerade bei Jugendlichen greift man viel zu kurz, wenn man Städte für sie gestalten will. Es geht vielmehr darum, Städte mit ihnen zu gestalten und sie nicht nur als Experten/innen ihrer eigenen Bedürfnisse und Kenner/innen ihres Umfeldes ernst zu nehmen, sondern auch als Impulsgeber/innen. Natürlich sind Kinder und Jugendliche nicht die besseren Menschen oder die besseren Planer/innen. Aber sie besitzen meist etwas, was Erwachsenen oft verloren gegangen ist: das Staunen über (vermeintliche) Kleinigkeiten, die Lust am Gestalten und Erobern von (Stadt-)Raum, am Spielen und Ausprobieren, Fantasie und auch eine gewisse Naivität, ohne die es keine Visionen gäbe.
Mitmachen - ein weites Feld
Wie Kinder und Jugendliche beteiligt werden können, ist ein weites Feld. Das Spektrum reicht von Beteiligung in konkreten Fragen – zum Beispiel einer Zukunftswerkstatt für die neue Parkgestaltung oder die gemeinsame Gestaltung urbaner Gärten – bis hin zu Wettbewerben und Workshops zu städtischen Zukunftsfragen. Auf jeden Fall braucht es passende Formate und gute Wegbegleiter/innen, die Kinder und Jugendliche sowohl in ihren Ideen und ihrer Ausdrucksfähigkeit bestärken, als auch Handwerkszeug und Wissen vermitteln. Planung ist ein Aushandlungsprozess. Es gehört auch immer dazu zu lernen, dass man Dinge diskutieren und aushandeln muss, dass sich nicht alles umsetzen lässt, und auch dass man manchmal für seine Ideen kämpfen muss.
Beispiele aus der Praxis
Dass dies nicht nur Kindern und Jugendlichen nützt, sondern Diskussionen in Gang bringen, Orte beleben und Impulse geben kann, zeigen vielfältige Projekte. Um nur einige zu nennen: In Rosenheim verwandeln Jugendliche Plätze oder Brachen einmal im Jahr in "Stadtoasen" mit selbst gebauten Sitzmöbeln, Cafébetrieb und Veranstaltungen, die das Stadtleben enorm bereichern. In Hamburg gestalten Schüler/innen einer Stadtteilschule ein vergessenes Fleckchen öffentliches Grün in einen Kunstraum. In dem österreichischen Projekt "teens open space" bringen Jugendliche ihre Wünsche zur Gestaltung öffentlicher Räume ein und diskutieren Umsetzungsmöglichkeiten mit Politik und Verwaltung. Dabei zeigt sich, dass die Jugendlichen oft ein gutes Gespür dafür haben, was bestimmten Freiräumen fehlt. So sorgen die Veränderungen insgesamt zur Verbesserung der Freiraumqualität – nicht nur für Jugendliche – und sprechen damit oft auch anderen Bewohnern/innen aus dem Herzen. Solche Ansätze erfordern Kraft und Ausdauer. Aber sie können auch eine immense Kraft entfalten und dazu beitragen, dass sich Städte lebendig und lebenswert entwickeln.
Autor/in: Silke Edelhoff, Dipl.-Ing. Stadtplanerin/Moderatorin für Kinder- und Jugendbeteiligung, Gründungsmitglied von JAS – Jugend Architektur Stadt e.V. und JAS WERK gUG in Hamburg, 31.10.2013
Mehr zum Thema auf kinofenster.de:
Weitere Texte finden Sie mit unserer Suchfunktion.
Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.