Als sie das Flügelhorn absetzt, ist es ein paar Sekunden lang völlig still im Probenraum. Erst als der Dirigent Danny (Pete Postlethwaite) anerkennend murmelt: "... und das nennt sie 'ein bisschen wacklig' ...", bricht das Orchester in Begeisterung aus. Gloria (Tara Fitzgerald) hat sich mit dem soeben gegebenen Einstandsstück "Concierto De Aranjuez" einen Platz in der bislang reinen Männerdomäne und heiligen kulturellen Bastion der Gemeinde erobert. Sie gilt nun als vollwertiges Mitglied in der Grimley Brass Band von Yorkshire. Freilich war nicht nur die Reinheit ihres musikalischen Spiels ausschlaggebend, sondern auch, dass Gloria hübsch anzusehen und darüber hinaus auch noch der Sprössling eines ehemaligen Bandleaders ist. Ersteres beeindruckt die versammelte Männlichkeit, Letzteres insbesondere den von allen Orchestermitgliedern respektierten bzw. gefürchteten Dirigenten.
Gloria kommt nach Grimley in einem Moment höchster sozialer und politischer Spannungen. Seit Wochen verhandeln Gewerkschafter mit dem Management der Grimley Kohlegesellschaft um die Weiterexistenz der Grube. Frauen von Minenarbeitern campieren solidarisch vor dem Werkstor und fordern die Sicherung der Arbeitsplätze, in Versammlungen wird debattiert und heftig gestritten, ob das jüngste Angebot des Managements (eine Abfindung in beträchtlicher Höhe) um den Preis der Zechenschließung angenommen werden soll. Eine Abstimmung endet mit 4:1 Stimmen zu Gunsten des Vorschlags und gegen einen möglichen Generalstreik. Parallel dazu und inmitten dieses Arbeitskampfs nimmt die Grimley Brass Band mit frisch gewonnenem Enthusiasmus den Wettkampf auf um die nationale Endausscheidung der Blasmusikorchester in der legendären Londoner Royal Albert Hall. In diesem Geschehen nimmt Gloria eine besondere Rolle ein. Sie soll im Auftrag des British Coal Board ein Gutachten erstellen, das die Wirtschaftlichkeit der Grube prüft. Rasch wird jedoch klar, dass sie an ihren Heimatort zurückgekehrt ist, und dass auch sie hofft, mit ihrem Gutachten die Zeche erhalten und Arbeitsplätze retten zu können. Sie wirkt als Katalysator in den wichtigsten Handlungsebenen und verkörpert als junge, erfolgreiche und emanzipierte Berufstätige eine Hoffnungsfigur, die am Ende jedoch auch den blanken Zynismus des sparpolitisch und renditeorientierten Thatcherismus erfährt. Spät zwar, aber nicht zu spät, um sowohl für die Band wie auch für die Erfüllung ihrer Jugendliebe Entscheidungen zu treffen.
Die Handlungsstränge vom Band-Wettbewerb und vom Kampf um den Erhalt der Zeche sind zu einem dichten Spannungsbogen verwoben. Dramaturgisch gezielt wird die Musik als Verstärkung, Kontrapunkt oder auch Entspannungselement eingesetzt. Ähnlich wie in einem Orchester die Instrumentierung komponiert der Regisseur die Charaktere der Handlung: Jeder einzelne hat eine ausgeprägte Persönlichkeit, nachvollziehbare Beweggründe, ein bewegendes Schicksal – alle spielen mit und im Zusammenspiel entsteht ein voller Klang, ein pralles Kaleidoskop.
Als romantische Komödie und sozialkritisches Melodram befindet sich
Brassed Off in bester Gesellschaft britischen Filmschaffens. Nicht ganz so wagemutig wie seinerzeit
Mein wunderbarer Waschsalon von Stephen Frears, nicht so dramatisch-verzweifelt wie
Ladybird, Ladybird von Ken Loach und nicht ganz so übermütig wie der ebenfalls im Oktober startende Film
Ganz oder gar nicht von Peter Cattaneo, zeichnet sich Mark Hermans zweiter Spielfilm durch vergleichbare Qualitäten aus: Die Authentizität des Milieus entsteht nicht nur dadurch, dass in Regionen gedreht wurde, die von hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind, sondern auch durch subtil und treffend gezeichnete Charaktere. Mark Herman, der aus Yorkshire stammt, kennt die Verhältnisse. Dank brillanter Darstellerinnen und Darsteller glückt ihm ein eindrückliches Bild von den unterschiedlichen Beteiligten und deren Überlebensstrategien. Voller Sympathie für die sozial Schwächeren vermag er, sich mühelos über die Eigenarten der Protagonisten lustig zu machen. Ohne die Anmaßung besserwisserischer, politischer Parolen gelingt es ihm auch, heikle neuralgische Punkte fast beiläufig zu thematisieren. So taucht im Film beispielsweise immer wieder die fundamentale Erschütterung traditioneller geschlechtlicher Rollenverteilung auf, wie sie durch Arbeitslosigkeit provoziert und erkennbar wird. Oder auch die zweifellos virulente Frage nach den Alternativen zur Grubenarbeit. Die grandiose Faszinationskraft von
Brassed Off wird darüber hinaus durch den sicht- und hörbaren Enthusiasmus der Musiker verstärkt. Selbst eingefleischte Blasmusikgegner werden sich dieser Magie und dem 'Drive' kaum entziehen können.
Autor/in: Conny E. Voester, 01.10.1997