Wim Wenders neuer Film
Am Ende der Gewalt, eine Reflexion über das Gewalt-Phänomen, wurde dieses Jahr in Cannes im Rahmen der Gala zum 50-jährigen Jubiläum uraufgeführt und rief unterschiedliche Meinungen hervor. Inzwischen hat der 51-Jährige den Film neu geschnitten, "das Material Stein für Stein auseinandergenommen und neu zusammengesetzt". Wollte er in der Cannes-Fassung noch mit Genre-Regeln spielen, bekennt er sich in der umgeschnittenen Fassung "im Zuge der Vereinfachung" zum Genre des Thrillers. Dadurch wurde der Film stringenter und für ein größeres Publikum verständlich.
Die verschachtelte Geschichte über die Wechselwirkung von realer und Kinogewalt ist in Los Angeles angesiedelt, an der Nahtstelle zwischen Arm und Reich, dort wo sich die Berühmtheiten in ihren noblen Häusern verbarrikadieren, während auf der Straße gewalttätige Banden den Ton angeben. Anspielungen auf den Fall Rodney King, Gangsta Rap, Krawalle oder Gewaltfilme und den Zynismus ihrer Macher in Hollywood sind augenfällig. Im Mittelpunkt stehen Mike Max, der es als Produzent von Gewaltfilmen zu einer Villa in Malibu und einer schönen, aber gelangweilten Ehefrau gebracht hat, und der Wissenschaftler Ray Bering, der von einem geheimen FBI-Observatorium aus die ganze Stadt mit Videokameras kontrolliert. Max übersteht einen Mordanschlag zweier gedungener Killer, die von unbekannter Hand erschossen werden, taucht danach bei einer mexikanischen Familie unter, um den Auftraggeber herauszufinden. Bering konnte die Aktion auf seinem Monitor teilweise verfolgen und gerät dadurch selbst ins Fadenkreuz der Drahtzieher. Den konfusen Fall lösen will Detective Doc Block.
Dieser Film-Essay über die Entstehung von Aggressionsbereitschaft bewegt sich zwischen Thriller und theoretischem Konstrukt. Wenders arbeitet auf verschiedenen Ebenen, verknüpft – wie Altman in
Short Cuts – verschiedene Handlungsstränge und Personen, die alle nur durch eines verbunden sind: durch die ganz alltägliche Gewalt. Wenders wollte "einen Film über Gewalt machen, aber keinen gewalttätigen Film". So verzichtet er auf brutale Bilder, aber dennoch bleibt die Gewalt präsent, auch wenn man sie nicht direkt sieht. Sie funktioniert wie in einem Videospiel auf Monitoren und in den Köpfen der Zuschauer. Mit manchmal spitzfindigen Dialogen und unterschwelligem Humor bricht Wenders immer wieder die übliche Kritik an der neuen schönen Medienwelt und an 'Big Brother'. Seine einfache Botschaft lautet: Gewalt lässt sich nicht mit Gewalt bekämpfen, die Bilderlieferanten, sprich Regisseure, tragen Verantwortung, der Circulus Vitiosus muss unterbrochen werden. Und das gelingt am Ende überraschend einem Latino-Dienstmädchen, das sich nicht durch Waffen einschüchtern lässt, sondern Courage beweist.
Das intelligente Vexierspiel ist formal interessant und spannend inszeniert und beeindruckt durch kraftvolle Bildgestaltung in Cinemascope. Es weckt aber auch Irritationen durch die Anzahl der Protagonisten und Handlungsstränge – vielleicht weil die Autoren erst die Biografien der Figuren entwickelten und anschließend die Geschichte. Der Titel
Das Ende der Gewalt ist mehr als Ironie und Provokation zu verstehen, mit einer "Spur Wunschdenken", wie Wenders es formuliert. Es liegt am Individuum, sich zu wehren; keine Institution kann der Gewalt Einhalt gebieten, weder der tatsächlichen noch der in den Bildern. Gewalt und Kino gehören zusammen, deshalb wiederholt Wenders nicht eine simple Medienkritik, sondern erzählt über Entstehung von Gewalt, macht sie transparent, zeigt ihre Ursachen auf. Im Gegensatz zu Scorsese, der glaubt, dass man keinen Film über Gewalt machen kann, ohne sie zu zeigen, findet bei Wenders die Auseinandersetzung mit diesem existenziellen Thema auf einer Metaebene statt. Geschickt führt er auch die staatlich sanktionierte Gewalt ad absurdum, die durch das totale Überwachungssystem des öffentlichen Lebens die Hoffnung hegt, individuelle Gewalt kontrollieren zu können. Diese Utopie funktioniert nicht. Alle Charaktere sind in irgendeiner Art in Gewaltaktionen involviert, aber man sieht eigentlich nur die Folgen, nicht den Akt der Gewalt. Im Gegensatz zu Hanekes
Funny Games schockiert Wenders nicht, sondern bietet eine unterkühlte Gesellschaftskritik, entlässt den Zuschauer am Ende etwas ratlos und ohne billige Lösungsvorschläge in die eigene Realität. Bleibt mit Wenders zu hoffen, dass dieses Puzzle den Zuschauer zur Überprüfung seiner Gewaltakzeptanz veranlasst.
Autor/in: Margret Köhler, 01.11.1997