Interview
Das Leben aus zweiter Hand ...
Ein Gespräch mit Peter Weir
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: Peter Weir
Würden Sie Die Truman Show als Science-Fiction bezeichnen?
Sicherlich sind Fantasy-Elemente im Film zu finden. Als wir vor drei Jahren anfingen, uns mit dem Projekt zu beschäftigen, war vieles Zukunftsmusik. Aber die technologische Entwicklung vollzieht sich in rasantem Tempo. Die Kameras werden immer kleiner, die Möglichkeiten, jemanden versteckt aufzunehmen und zu beobachten dagegen immer größer. Reality-TV entwickelt sich inzwischen zu einem richtigen Unterhaltungszweig. Ich reflektiere nur die modernen Zeiten, in denen wir heute leben.
Ihr Film ist auch ein Hieb gegen die Übermacht des Fernsehens, das keine Privatheit mehr lässt.
Die Truman Show ist mehr als eine simple Medienkritik. Manche Menschen klagen, sie könnten den Fernseher einfach nicht abschalten, das ist eine Form von Sucht und Eskapismus. Aber auch der Normalverbraucher entwickelt eine Portion Voyeurismus, wenn er die verschiedenen Formen des Unterhaltungsangebots mit Wonne konsumiert. In den Abendnachrichten kriegt man alle Informationen häppchenweise: Erst kommt der Flugzeugabsturz, dann ein Politiker oder Prominenter, es folgen Sport oder das Wetter – alles mit dem gleichen unbeteiligten Lächeln und möglichst mit "human touch" serviert. Diesen Bezug zur Realität halte ich für sehr gestört. Das Leben aus zweiter Hand scheint besonderen Reiz auszuüben: Kaum packt jemand alltägliche Banalitäten vor der Kamera aus, schauen wir interessiert zu.
Sie gehen die Frage, was Realität und was virtuelle Realität ist, sehr philosophisch an.
Der Realität begegnet mein Protagonist erst ganz am Ende, wenn er die künstlich um ihn errichtete Welt verlassen will. Wir hatten uns verschiedene Filmschlüsse überlegt: Sollte er vielleicht seine verlorene Jugendliebe wiederfinden und als Familienvater glücklich leben oder lieber bewusst seine Existenz vor den Kameras fortführen, weil er Geschmack daran gefunden hat? Wir lassen das Ende offen: Der Zuschauer muss den Faden weiterspinnen und sich vorstellen, wie die nächsten Jahre in Trumans Leben aussehen könnten. Einen Realitätsschock im Kleinen erlebt das Publikum doch jedes Mal, wenn es aus einem Film herauskommt und wieder mit der eigenen Wirklichkeit und ihren Schwierigkeiten konfrontiert wird.
Was war das Schwierigste an dem Projekt?
Trotz heiterer Atmosphäre das Kafkaeske der Situation zu vermitteln und dem Zuschauer klarzumachen, dass Truman unter ständiger Beobachtung steht. Dazu mussten wir den Eindruck erwecken, dass die Kameras an den unmöglichsten Stellen positioniert sind. Wir haben – für einen Spielfilm sehr unüblich – mit Weitwinkelobjektiven und äußerst ungewöhnlichen Kameraeinstellungen gearbeitet.
Einem Menschen wird quasi das eigene Leben weggenommen und dem Drahtzieher kann man noch nicht einmal böse sein.
Genau das ist der Wahnsinn. Christof, der Chef der Show, hat im Laufe der Jahre eine richtige Zuneigung zu Truman entwickelt, fühlt sich fast als Vater und Beschützer. Der Horror liegt darin, dass man den Helden nicht irgendwie bedroht, sondern einem Surrogat von Leben ausliefert, ohne die Spur eines schlechten Gewissens zu haben.
Wie erklären Sie den Erfolg des Films in Amerika und die Parallelen, die man zu Forrest Gump zieht?
Im Prinzip hat der Film sehr traditionelle Elemente, es geht um die Suche nach Wahrheit und um eine Love-Story, um einen Mann, der für die Freiheit sein Leben aufs Spiel setzt. Truman ist – obgleich von einem Übervater à la Frankenstein geschaffen – kein Monster, sondern ein ganz normaler Mensch, das weckt Mitgefühl und Beschützerinstinkte beim Zuschauer. Ohne Jim Carrey wäre der Erfolg nicht möglich gewesen. Der nette Junge von nebenan musste ein Star sein, sonst hätte man es ihm nicht abgenommen, dass die Leute 30 Jahre lang sein Schicksal verfolgen. Jim Carrey verkörpert exakt die notwendige Mischung aus Kindlichkeit und Naivität eines Mannes, der erst sehr spät erwachsen wird und Verantwortung für sich übernimmt. In Amerika verbindet man mit seiner Person einen bestimmten Humor. In Europa reagiert das Publikum anders; dort wirkt vor allem der satirische Aspekt, der schwarze und bitterböse Humor.
Autor/in: Margret Köhler, 11.12.2006