Das künstlerische Erbe der DEFA
Als 1991 der Name "DEFA" mit dem Verkauf durch die Treuhand aus dem Register aktiver Filmproduktionsfirmen verschwand, schien es kurzzeitig so, als sei die Beschäftigung mit DEFA-Produktionen allein den Film-Museen und Historikern überlassen. Inzwischen hat sich das Bild aber nicht nur durch Gründung der DEFA-Stiftung geändert. ORB und MDR strahlten in den letzten Jahren verstärkt DEFA-Filme aus, wobei sie scheinbar fest entschlossen waren, nicht einen der jemals produzierten Babelsberger Streifen auszulassen. Das Berliner Video-Label "lcestorm" erzielt nach eigenen Angaben mit den eigens herausgegebenen DEFA-Produktionen hervorragende Umsätze und der inzwischen privatisierte Progress Filmverleih kann sich bei seinen Aktivitäten im gesamtdeutschen Raum nach wie vor auf den DEFA-Filmstock verlassen, der neben einfach schlechten Filmen auch beachtliche Kunstwerke bietet. Im Rückblick lässt sich feststellen, dass der DEFA-Film wesentlich vielschichtiger war, als seine ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen vermuten ließen – entsprechend verschieden sind auch seine Macher. Eine Erfahrung aber ist dem ehemaligen künstlerischen Personal der DEFA gemeinsam: Mit der Auflösung des Betriebes in Babelsberg verloren sie alle ihre gesicherte Existenz. Plötzlich waren alle Neulinge, die sich auf einem völlig unbekannten Produktionsmarkt behaupten mussten und einer nie gekannten Konkurrenzsituation ausgesetzt waren. Viele von ihnen fanden nach 1991 keinen Zugang mehr zum Kinomarkt. Einige arbeiten inzwischen für das Fernsehen, begleiten die Kultur- und Filmentwicklung publizistisch, etliche sind aus der Branche verschwunden. Eine der Ausnahmen ist Peter Kahane. 1990 brachte er mit Die Architekten am deutlichsten das Unbehagen seiner Generation mit der DDR-Gesellschaft zum Ausdruck, doch die historischen Ereignisse hatten ihn und seinen Film damals längst überholt. Nach einem Misserfolg mit Cosimas Lexikon (1992) arbeitete auch Kahane für das Fernsehen. Damit verschaffte er sich nach seinen eigenen Worten eine gewisse Distanz, die es ihm schließlich 1998 ermöglichte, mit seiner sehr individuellen, zwischen Tragik und Komik pendelnden Erzählhaltung und mit einem über eigene Befindlichkeiten hinausreichenden Blick Bis zum Horizont und weiter zu drehen. Kahane erzählt hier sehr filmisch – und im Kino auch relativ erfolgreich – die Geschichte zweier Liebenden, die aus der heutigen modernen Gesellschaft heraus gedrängt werden. Herwig Kipping, in der DDR von der Filmpolitik ausgegrenzt, geht 1992 in Das Land hinter dem Regenbogen in fast surrealistischer Weise und bitter auf die sich als verlogen erweisenden Utopien seiner Kindheit in den 50er Jahren in der DDR ein. 1992 formuliert er dann mit Novalis – Die blaue Blume eine symbolhafte Absage an die Väter und Oberväter. Helke Misselwitz greift 1992 mit Herzsprung und 1996 mit Engelchen in sehr dramatischer Form Konflikte des sozialen Umbruchs in Ostdeutschland auf. Von den Vertretern der älteren DEFA-Gereration waren es Egon Günther und Rainer Simon, die auch mit konkreten Kinoprojekten hervortraten. Simon reflektierte in Fernes Land Pa-isch die problematische Ankunft eines Jungen aus Sachsen in der neuen Zeit. Günther nimmt 1991 mit Stein in melancholischen Bildern Abschied von der DDR, die er Ende der 70er Jahre verlassen hatte. 1999 knüpft er dann mit Die Braut an die Reihe seiner beachtlichen Literaturadaptionen an.
Bemerkenswerte Impulse für die Einbindung von sozialer Realität im deutschen Film der 90er Jahre kommen von Regisseuren, die zwar in der ehemaligen DDR aufgewachsen und ausgebildet worden sind, die aber keine Erfahrung mehr im Staatsbetrieb DEFA gemacht haben. Dazu zählen Peter Welz (Burning Life) und Andreas Dresen, der bereits 1992 für seinen ersten Spielfilm Stilles Land den Preis der deutschen Filmkritik erhielt. Auch Andreas Kleinert, 1962 geboren, reibt sich mit seinen Filmen an der Zeit. In dichten, spannenden und oft bedrückenden Geschichten reflektiert er die Ohnmacht darüber, dass der einzelne Mensch die Welt offensichtlich nicht verändern kann. Nach Verlorene Landschaft (1991), Neben der Zeit (1994) und Im Namen der Unschuld (1996) beeindruckte er in diesem Jahr u. a. in Cannes und Karlovy Vary mit seiner neuen Arbeit Wege in die Nacht. Wie in den vorangegangenen Filmen ist Kleinerts Geschichte über das Leiden eines Mannes an seiner eigenen Vergangenheit sozial konkret im Osten angelegt. Doch er möchte sie als weiterreichende Parabel verstanden wissen. Walter, Mitte 50, war einst Werkdirektor. Nach der Schließung seines Betriebes verliert das Dasein für ihn zunehmend an Sinn. Grübelnd und voller Unruhe irrt er durch das nächtliche Berlin. Auch hier ist die Stadt Metapher für Umbruch und zugespitzte Konflikte. Die Bilder von Jürgen Jürgens zeigen den urbanen Moloch von unten, aus der Sicht derer, die im Dunkeln stehen. Walter beschließt, Ordnung zu schaffen, wo die Gesellschaft scheinbar versagt. Zwei Jugendliche, wie er ohne Aufgabe, ohne Sinnerfahrung am eigenen Dasein, schließen sich ihm an und akzeptieren ihn als Boss. Wo er Unrecht sieht, lässt er seine zwei Begleiter prügeln. Doch in seinem Eintreten für Gerechtigkeit verstrickt er sich zunehmend in Schuld und erschießt sich am Ende. Was Kleinert in diesem Film sensibel erzählt, ist äußerlich die Geschichte eines abgewickelten Betriebsdirektors in der ehemaligen DDR. In einer früheren Buchfassung war Walter sogar ein Stasi-Mann. Noch werden solche Figuren nicht als verallgemeinerbare Bilder genommen. Man sieht hinter ihnen die konkreten Vertreter eines untergegangenen Unrechtsstaates, mit denen man bequemerweise nichts zu tun haben möchte. In der Abstraktion ist ein Mensch wie Walter aber viel verallgemeinerbarer. Kleinert erzählt seine Geschichte nicht rückblickend, sondern er holt sich Muster aus der Vergangenheit, um für gegenwärtige Konflikte zu sensibilisieren.
Autor/in: Klaus-Dieter Felsmann, 09.08.1999