Interview
Wenn man langsam geht...
Im Gespräch mit David Lynch
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: David Lynch
Man verbindet Ihren Namen mit dunklen Obessionen wie in Wild at Heart oder Blue Velvet. Sind die wilden Zeiten als Bürgerschreck vorbei?
Jeder Mensch hat verschiedene Seiten und in manchen Lebensphasen setzt man neue Akzente. Ich weiß nie, was mich als Nächstes reizt. Vielleicht drehe ich wieder mal einen schwarzen, wilden und verrückten Film. Aber ich habe mich völlig überraschend in das Skript von Straight Story verliebt.
Warum?
Die starke Emotion, die wunderbare Langsamkeit und die Einfachheit faszinierten mich. Alvin schafft vier bis fünf Meilen in der Stunde. In unserer schnelllebigen Zeit ist das ein Anachronismus. Aber wenn man langsam geht, sieht man mehr. Wir hetzen doch nur durch unsere Existenz, der Tag geht wie im Flug vorbei, am Abend erinnern wir uns an nichts mehr. Soll das unser wirkliches Leben sein?
Ihr Amerika besteht eigentlich nur aus netten, hilfsbereiten Menschen.
Das mag irritieren. Aber Alvin Straight traf wirklich freundliche Leute, die ihn unterstützten. Das liegt an der Gegend, sie ist das Herz Amerikas. In diesem Landstrich lebt man noch wie eine große Familie und muss sich aufeinander verlassen können, weil Alltag und Arbeit hart sind.
Ihr Protagonist setzt auf Familienwerte. Und Sie?
Die Familie war mir nie so wichtig. Erst spät erkannte ich, welchen Rückhalt sie gibt, wie sie unser soziales Verhalten und unser ganzes Leben determiniert, schon in frühester Jugend die Weichen für die Zukunft stellt.
Heißt 'Altern' auch, in Erinnerungen leben?
Nicht nur. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man sein Leben reflektiert. Bei Alvin merkt man, dass es einige Dinge gibt, die ihn noch nach Jahren schmerzen, beispielsweise die Kriegserfahrungen. Das Gespräch der beiden alten Männer kam allerdings fast zufällig zu Stande.
Ist es nicht gewagt, in Zeiten von High-Tech-Filmen eine Ode an die Langsamkeit zu inszenieren, dazu noch mit einer 73-jährigen Hauptfigur?
Nach Modetrends richte ich mich grundsätzlich nicht. Der Film handelt von einem universellen, altersunabhängigen Thema. Vielleicht stehen für meinen Film viele alte Leute Schlange. Das wäre doch mal was anderes.
Autor/in: Margret Köhler, 11.12.2006