Interview
Der Hass ist oft stärker...
Ein Gespräch mit Kimberley Peirce
Das Interview führte Margret Köhler.
Interviewpartner: Kimberley Peirce
Wie sind Sie an diese Geschichte gekommen?
Mich interessierten schon immer Frauen, die als Männer ihre Chancen wahrnahmen. Vor fünf Jahren arbeitete ich an einem Drehbuch über eine Spionin im Bürgerkrieg, die nur überleben konnte, weil sie sich als Mann ausgab. Dann stieß ich auf den Fall von Teena Brandon und wollte herausfinden, warum ein Mädchen eine männliche Identität vorgibt. Ich habe rund 10000 Seiten Material gesammelt.
Inwieweit orientieren Sie sich an der Wirklichkeit?
An welcher Wirklichkeit? Ich habe sehr viele Interviews geführt, bei den meisten Details tauchten Widersprüche auf; die Menschen, die Brendan kannten, entwickelten unterschiedliche Versionen, entwarfen Lügengespinste, um sich besser darzustellen. Es gibt keine absolute Wahrheit.
Wie würden Sie nach Ihren Recherchen die Figur Brendans beschreiben?
Als einen Menschen, der geliebt und akzeptiert werden wollte und deshalb in eine andere Haut schlüpfte, in eine andere Stadt zog. Da fand er die Anerkennung und Zuneigung. Er war so etwas wie eine Lichtgestalt, eine Projektionsfläche für Sehnsucht und Hoffnung auf Änderung.
Ist die Suche nach sexueller Identität für Jugendliche in Zeiten von 'Unisex' nicht besonders schwierig?
Rollentausch halte ich für aufregend. Wenn Männer etwas von Frauen und Frauen etwas von Männern im Verhalten annehmen würden, gäbe es sicher weniger Missverständnisse zwischen den Geschlechtern und mehr Toleranz Andersdenkenden gegenüber. Wir sind zu sehr auf unser angeborenes Geschlecht fixiert, anstatt es als Befreiung zu erleben.
Wie erklären Sie sich die Brutalität der Männer gegen Brendan?
Es fehlt an einer klaren Definition der Rollenbilder von Mann und Frau. Brendans Mörder fühlten sich in ihrer Männlichkeit bedroht, weil sie merkten, dass die nicht mehr gefragt ist. Sie versuchten, ihr Selbstwertgefühl durch Gewalt wieder herzustellen. Auch sie sind Opfer ihrer Umwelt, weil sie traditionelle Anforderungen erfüllen wollen. Es kommt aber noch etwas anderes hinzu. Brendan, der mysteriöse Außenseiter und Fremde verkörperte einen Traum von Freiheit. Als seine wahre Identität aufkam, zerstörte er damit auch Illusionen.
Oft glaubt man, in Kleinstädten sei die Welt noch in Ordnung ...
Gerade in kleinen Kommunen entstehen Aggressionen. Die soziale Kontrolle ist sehr stark, die Menschen stehen so unter Druck, dass sie wandelnden Zeitbomben ähneln. Die Zunahme von Gewaltverbrechen in Amerika ist ein kulturelles Phänomen, der Hass ist oft stärker als das Streben nach Harmonie.
Autor/in: Margret Köhler, 11.12.2006