Wer Schuld ist, muß auch blechen?
Im Schadensfall sieht die deutsche Rechtsordnung zwei mögliche Konsequenzen vor: die zivilrechtliche Wiedergutmachung und die Sühne im Bereich des Strafrechts. Insbesondere wenn die Ursache des Schadens aber auf ein Wirtschaftsunternehmen oder eine in anderer Weise als "mächtig" empfundene Institution zurückzuführen ist, hat der Geschädigte oft Zweifel, ob er gegen einen derart mächtigen Gegner antreten kann.
Geht es nur um strafrechtliche Sühne, so hat der Geschädigte einen machtvollen Partner an seiner Seite. Nicht er selbst ist der Gegner des Unternehmens, sondern die Staatsanwaltschaft. Er selbst bringt nur die Fakten zur Anzeige, die Ermittlungen führt die Staatsanwaltschaft durch. Ein "Unternehmen" als Täter im strafrechtlichen Sinn gibt es nicht. Für eine Bestrafung müssen daher Einzelne belangt und ihnen zum Beispiel Pflichtverletzung, Gewinnstreben, fahrlässiges oder gar vorsätzliches rechtswidriges Handeln im Einzelnen nachgewiesen werden. Die Staatsanwaltschaft wendet bei Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel zur Sachaufklärung an, um einen hinreichenden Anfangsverdacht zu ermitteln und gegebenenfalls zur Anklage zu bringen.
Bestrafung mag Genugtuung bringen; wichtiger für den Geschädigten ist jedoch die Wiedergutmachung des Schadens, die er durch eine Bestrafung des Schädigers nicht erreicht. Im Zivilrecht ist der Geschädigte zunächst allein, denn er hat nicht die Ermittlungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft. Noch bis 1990 hatte der Einzelne vor Gericht nicht nur die Fehlerhaftigkeit eines Produktes zu beweisen, sondern darüber hinaus auch Fahrlässigkeit oder Vorsatz im Verantwortungsbereich seines mächtigen Gegners – ein Unterfangen, das oftmals zum Scheitern verurteilt war. Seit 1990 gibt es das Produkthaftungsgesetz, das dem Geschädigten nur noch auferlegt, den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Fehler des Produkts und dem eingetretenen Schaden zu beweisen. Im Prinzip eine einfache Aufgabe, der jedoch die in diesem Gesetz festgeschriebenen Entlastungsmöglichkeiten der Unternehmen gegenüberstehen. Die Rechtslage ist einfach, wenn ein Produkt gesundheitsschädliche Stoffe enthält, die in der gesetzlich vorgeschriebenen Beschreibung des Produktinhalts nicht enthalten sind. Schwieriger wird es schon, wenn während der Produktion unerwartete Mängel oder Fehlkonstruktionen eingetreten sind, die trotz bestimmungsgemäßem Gebrauch zu einem Schaden beim Verbraucher führen. Wer kann schon lückenlos nachweisen, dass das Produkt schon beim Kauf fehlerhaft war und der Fehler nicht selbst nach dem Kauf verursacht wurde? Problematisch verhält es sich auch mit dem "bestimmungsgemäßen" Gebrauch, beispielsweise bei der Zigarette, die gesundheitliche Schäden verursacht, ohne fehlerhaft zu sein. Nach dem hier geltenden Produkthaftungsgesetz hätte der Tabakgeschädigte kaum eine Aussicht auf Schadenersatz gegen Tabakkonzerne – nicht etwa wegen der Übermacht der Zigarettenindustrie, sondern weil der Verbraucher das Produkt eigenverantwortlich im Bewusstsein seiner schädigenden Wirkung erwirbt und nutzt.
Grundsätzlich reicht das geltende Gesetz aus, um auch die Rechte des Einzelnen gegenüber großen Konzernen oder sonstigen Institutionen durchzusetzen. Dass bei letzteren allerdings die bessere finanzielle Ausstattung auch den längeren Atem gibt, kann nicht ausgeschlossen werden. Prozesse kosten viel Geld, wenn es um große Summen geht. Dieses Geld muss der Kläger erst einmal vorstrecken. Auch die Kosten für Gutachten muss er vorleisten. Manchmal werden Verfahren über mehrere Instanzen in die Länge gezogen, wobei der Kläger oft scheitert, weil ihm die finanziellen Mittel ausgehen oder er einfach zermürbt ist. Dennoch ist die Lage nicht hoffnungslos. Im Einzelfall kann Prozesskostenhilfe bewilligt werden, Verbraucherschutzorganisationen bieten in vielfacher Weise ihre Hilfe an und bei Fällen von allgemeinem Interesse schalten sich auch die Medien ein. Auch im Zeitalter der Fusionen und immer größer werdender wirtschaftlicher Macht lohnt es sich für David immer noch, den Stein aufzuheben.
Autor/in: Simone Lepetit (Rechtsanwältin), 08.12.2006