Westberlin und seine Hausbesetzer – einst gehörte das für eine Weile untrennbar zusammen. Aber was ist aus den Anarchos der Spät-Siebziger geworden? Diese Frage ist garantiert mehr als nur einen Film wert – auch für das breite Publikum. Mit Georg Schnitzlers Kinodebüt
Was tun, wenn's brennt? wird nach mehreren Filmen zum RAF-Terror der Mittsiebziger ein weiteres Kapitel der deutschen Post-68er-Linken zum Thema eines Kinofilms.
"Explosive" Vergangenheit
Die Vergangenheit kann eine Zeitbombe sein. Plötzlich detoniert der "Sprengsatz" aus längst vergessenen Zeiten und bricht alles auf, was in der Gegenwart an Illusion, Lebenslüge und Nostalgie existiert. In diesem Film ist das ganz wörtlich zu nehmen: Die Explosion eines vergessenen Sprengsatzes bringt eine Gruppe von sechs ehemals eng befreundeten Spätdreißigern unfreiwillig noch einmal zusammen. Gemeinsam müssen sie Spuren verwischen, die auf sie als ehemalige Bombenleger hinweisen. Wenn es ihnen gelingen sollte, belastendes Filmmaterial im Besitz der Polizei zu vernichten, können sie Manowsky, ihrem einstigen Widersacher bei der Polizei, ein letztes Mal ein Schnippchen schlagen. Einst spielten sie in Kreuzberg mit ihm und seinen Kollegen Katz und Maus, besetzten Häuser, doch jetzt haben sie ihre alten Ideale und alternativen Lebensentwürfe längst vergessen. "Terror" ist Staatsanwalt geworden, Maik Werbedesigner, Nele schlägt sich als allein erziehende Mutter durch und Flo bereitet gerade ihre Hochzeit vor. Nur Tim, in den Flo einst verliebt war, und der querschnittsgelähmte Hotte sind ihren Idealen halbwegs treu geblieben. Gesehen haben sie die anderen seit Jahren nicht mehr. Mit dem unverhofften Wiedersehen leben auch alte Gefühle und Konflikte der einstigen Freunde wieder auf.
Ideale im Wandel der Zeiten
"Frei sein, high sein, Chaos muss dabei sein ..." – so hieß es einmal vor fast einem Vierteljahrhundert. Jetzt, da sich die Ex-Anarchos notgedrungen zusammenraufen müssen, um ihre Existenz nicht zu gefährden, erscheinen die einstigen Ideale nur noch als zerschlissene Gesinnungslumpen. Plakativ gezeichnet, aber insgesamt einer realen Entwicklung der Gesellschaft entsprechend, zeigt der Film den Wandel von ehemaligen Steinewerfern zu Mercedesfahrern und Aktionären, vom Hausbesetzer zum Hausbesitzer. Durch diesen beachtlichen Wandel der Figuren verweist der Film indirekt auf gesellschaftliche Gegenwart und animiert die Zuschauer, sich zu fragen, wo die Ideale von damals geblieben sind, welche Werte heute wichtig sind und welche Bedeutung die einstigen Ideale heute für die alte und für die junge Generation haben. Wie geht man heute mit gesellschaftspolitischen Visionen um? Ist jeder nur noch davon überzeugt, für sich selbst zu sehen, wo er bleibt?
Verdrängte Vergangenheit
Noch einmal jung sein – das ist ein universelles Thema im Film und für viele Menschen ein Wunsch, der nicht in Erfüllung gehen kann. Die Figuren des Films jagen diesem Jugendideal nicht nach, im Gegenteil. Sie möchten die Vergangenheit verdrängen, ungeschehen machen, denn sie könnte ihre Existenz kosten, zumindest für einige von ihnen auch hässliche Flecken in der weißen Karriereweste hinterlassen. Das bisher Erreichte steht auf dem Spiel. Statt allerdings die Ideale von einst ernst zu nehmen und die Gegenwart wirklich kritisch auf diese Ideale hin abzufragen, will
Was tun, wenn's brennt? vor allem Komödie sein. Als solche bietet sie zwar keine sehr subtile, aber immerhin solide Unterhaltung, hinter der die eigentlich wichtigen Fragestellungen (nach Idealen, Werten und Wertewandel) bald auf der Strecke bleiben. Am besten funktioniert der Film dort, wo nicht die Anarchos damals und heute, sondern die Position der Polizei als weitere Gruppe der Protagonisten beschrieben wird, in ihrer Härte und ihrem Zynismus, aber auch in mancher menschlichen Regung.
Stilistischer Genre-Mix
Stilistisch wird Regisseur Gregor Schnitzler, der bisher eher für Fernsehen von der Stange verantwortlich war, der Bewältigung des Themas nicht gerecht. Unentschieden schwankt er zwischen verschiedenen Genres, mischt die ansatzweise sogar ambitionierte Auseinandersetzung mit dem Thema willkürlich mit Elementen des Thrillers und variiert das gängige Komödienthema der (sechs) Gangster wider Willen mit jenem allgemeinen Ton deutscher Gegenwartsunterhaltung, der immer eine Spur zu grell aufgetragen und daher unehrlich, nicht wahrhaftig empfunden wirkt. Im besonders sinnlichen Medium Kino, wo es weniger um Argumente als um Gefühle und (bei historisch begründeten Stoffen) um Authentizität geht, kann so etwas tödlich sein, besonders wenn die Macher diese Authentizität nicht wirklich ernst nehmen.
Scherzhafter Umgang mit der Thematik
Ein Beispiel für den unsensiblen Umgang mit historischer Realität ist eine Straßenschlacht zu Beginn des Films. Mit Torten werden Polizisten beworfen, was wohl, von Slapstick-Reminiszensen abgesehen, die Berliner Anarcho-Szene in eine Art Verwandtschaft mit der Pop-Revolte von '68 rücken soll. Tatsächlich ging es Ende der 70er Jahre, in denen die Rückblende des Films angesiedelt ist, weit weniger spaßhaft zu. Wenn schon nicht aus eigener Erinnerung, so wenigstens aus dem Kino sollte man wissen, dass die Polizei nach dem "Deutschen Herbst" kaum zu Scherzen aufgelegt war und sich erbitterte Schlachten zwischen Anarchos und Hausbesetzern lieferte. Noch heute haben die regelmäßigen Kreuzberger "1. Mai-Unruhen" diesen Charakter. So wird ein ernst zu nehmendes Thema nur als Kulisse für vordergründige Gags missbraucht. Das kommt einem Verrat der Figuren gleich.
Alte Rollenklischees und Feindbilder
Eine eher unpolitische, im Ergebnis rein konservative Grundhaltung und der reichlich unbedarfte Umgang mit Stereotypen zeigt sich auch an zwei anderen Beispielen: Während die Männer der Freundesgruppe entweder als Karrieristen erfolgreich oder als Idealisten ihren Idealen treu geblieben sind, werden die beiden Frauen Flo und Nele beruflich nicht weiter charakterisiert, dafür aber mit dem Komplex Familie assoziiert: die eine ist Mutter, die andere heiratet. Das ist eine ungebrochen traditionelle Zeichnung von Geschlechterrollen. Dazu kommt, dass ausgerechnet der kaum positiv charakterisierte Hausbesitzer Bülent türkischer Herkunft sein muss. Was auf den ersten Blick als lockerer Bruch von Ausländerklischees freuen könnte, erinnert bei genauerer Betrachtung ein wenig an das antisemitische Bild des schmierigen "fremden" Immobilienhändlers zur Zeit des Nationalsozialismus. Und es entspricht überdies der fatalen Neigung deutscher Film- und Fernsehmacher, "unsympathische" Figuren überdurchschnittlich oft als "Ausländer" zu charakterisieren.
Zwiespältiger Gesamteindruck
So bleibt ein zwiespältiges Gefühl. Man muss Hauptdarsteller Til Schweiger schon recht geben, wenn er in einem Interview erklärt, der Film sei kein Stück Zeitgeschichte, sondern "ein Unterhaltungsfilm, der ... ein Stück Zeitgeschichte aufnimmt. Der Film versucht aber nicht, die Gesellschaft wachzurütteln oder so was." Seinem brisanten Thema wird der Film daher inhaltlich nur zum Teil, filmästhetisch und stilistisch zu wenig gerecht. Kein Vergleich mit einem Meisterwerk an Sensibilität wie es etwa Christian Petzolds Die innere Sicherheit (Besprechung siehe Archiv) darstellt.
Autor/in: Rüdiger Suchsland, 01.02.2002