In dem Langfilmdebüt des Österreichers Hans Weingartner geht es um den 21-jährigen Lukas, der vom Land zu seiner älteren Schwester Kati in eine Wohngemeinschaft in Köln zieht, um dort zu studieren. Lukas genießt das Nachtleben der Großstadt und die neue Freiheit in vollen Zügen. Nach der Einnahme von Drogen beginnt er jedoch seltsame Stimmen zu hören und fühlt sich von fremden Mächten verfolgt. Hilflos fühlen sich die Menschen um ihn herum seinen Halluzinationen und wilden Ausbrüchen ausgeliefert. "Paranoide Schizophrenie" lautet die Diagnose der Ärzte in der Psychiatrie. Nun beginnt für Lukas der Kampf gegen das Chaos in seinem Kopf. Am Ende einer Reise, die ihn bis an die spanische Atlantikküste führt, scheint er ein mögliches Heilmittel gefunden zu haben: das weisse Rauschen.
Reizüberflutung
Physikalisch beschreibt das "weisse Rauschen" einen Zustand mangelnder Differenzierung, in dem die Wahrnehmungscodes außer Kraft gesetzt sind. Für Weingartner ist es eine Metapher für die geistige Verfassung des Schizophrenen, der von Informationen überflutet wird, die er nicht mehr filtern kann. Die absolute Stille ergibt sich erst durch die Summe aller Informationen, die sich dann gegenseitig auslöschen. Getrieben vom Bedürfnis nach Linderung sucht der Protagonist in seinen 'hellen' Zeiten diesen Zustand im Rückzug in die Einsamkeit am Meer, glaubt er doch: "Wer das weiße Rausch sieht, wird sofort wahnsinnig. Es sei denn, er ist schon wahnsinnig. Dann wird er wieder normal."
Ausgeklügelte Ästhetik
Mit rauen Bildern, die von einem häufig dissonanten Soundtrack unterstützt werden, nimmt Weingartner, der auch das Drehbuch schrieb, die Zuschauer mit auf einen Seelentrip, der lange nachhallt. Wenn die Kamera in faszinierender Weise passagenweise die subjektive Perspektive des Schizophrenen einnimmt, seine Irritation und Panik miterleben lässt, erschließt sich dem Publikum eine völlig fremde Weltwahrnehmung. Nach dem Vorbild der dänischen Dogma-Bewegung setzte Weingartner häufig mehrere digitale Mini-Kameras gleichzeitig ein, um bei minimalem Technik- und Kostenaufwand den bestmöglichen Blickwinkel zu bekommen. Dass aus der Überfülle von 130 Stunden Videoband eine so konzentrierte Studie entstand, verdankt er nicht zuletzt seinem Cutter Dirk Oetelshoven.
Offene Fragen
Die Darstellung typischer Verhaltensmuster eines Schizophrenen sowie seiner Mitmenschen lässt bei dem 1970 in Feldkirch geborenen Filmemacher, der ein Studium der Gehirnforschung absolvierte, viel Fachwissen erkennen. Dies hindert ihn allerdings nicht daran, gelegentlich auf stereotype Muster – wie zum Beispiel die Flucht vor dem Verfolgungswahn in den versuchten Selbstmord – zurückzugreifen. Auch die Langmut der WG-Genossen und der Aussteigergruppe, die den Suizidkandidaten aus dem Rhein fischt, gegenüber seinen harschen Ausfällen wirkt zuweilen etwas geglättet. Hervorzuheben ist im Gegenzug, dass Weingartner viele Fragen aufwirft, aber darauf verzichtet, voreilige Antworten zu geben. So bleibt die Frage nach dem Ursprung der Erkrankung ebenso offen wie die nach der Grenze zur Normalität oder die nach den Chancen einer Heilung und gesellschaftlichen Reintegration.
Mitgefühl und Toleranz
Getragen wird das Psychodrama vor allem von dem brillanten Hauptdarsteller Daniel Brühl, der zwar schon in etlichen Film- und Fernsehfilmen zu sehen war, aber noch nie so gut und intensiv wie hier. Als fast durchweg im Bild präsenter Sympathieträger versteht der junge Kölner es effektvoll, aber unprätentiös, unser Mitgefühl für den psychisch Kranken zu wecken und so zum Nachdenken über den Umgang mit ihnen anzuregen: Wie tolerant sind wir wirklich gegenüber psychisch Kranken?
Autor/in: Reinhard Kleber, 01.05.2002