Der Anruf des Präsidenten kommt denkbar ungelegen: Senatorin Laine Hanson wird direkt vom Liebeslager geholt. Der Ehemann, seiner Unterhosen bereits entledigt, hatte den Hörer pflichtbewusst abgenommen und ihn an seine nur mäßig begeisterte Frau weitergereicht. Der Anlass des Anrufs scheint allerdings in der Tat dringend zu sein – Minuten später ist das Ehepaar auf dem Weg ins Weiße Haus.
Eine Frau als Vizepräsidentin?
Die Szene, mit der Regisseur Rod Lurie seine Protagonistin einführt, ist bezeichnend für die Konsequenz, mit der die Geschichte des Films
Rufmord – Jenseits der Moral von Anfang an entwickelt wird. Zielstrebig und raffiniert bis ins Detail erzählt er, wie einer Frau von Männern eine potenzielle Machtposition streitig gemacht wird. Laine Hanson, die bei der Unterredung mit dem Präsidenten erfährt, dass sie als Nachfolgerin für den verstorbenen Vizepräsidenten vorgesehen ist, wird wenig später von einem Untersuchungsausschuss mit dem Vorwurf konfrontiert, sie habe als 20-jährige Studentin an einer Gruppensexparty teilgenommen – als Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten sei sie daher moralisch nicht tragbar. Die Frage, ob der Vorwurf berechtigt ist, lässt der Film lange Zeit – wenn auch leider nicht bis zum Schluss – offen. Einer Frau allerdings, die dem Zuschauer gleich zu Beginn beim Sex präsentiert wird, muss wohl einiges zugetraut werden. Geschickt verweist der Film hier nicht nur auf die Voreingenommenheit einer prüden Gesellschaft, sondern jongliert auch mit der Manipulierbarkeit jedes Einzelnen.
Taktierende Gegner ...
Der Film
Rufmord legt präzise bis ins Detail bloß, welche besonderen Mittel (immer noch) eingesetzt werden, wenn es darum geht, eine Frau zu Fall zu bringen. Zwar ist der Slogan "Frauen an die Macht" ein heute nicht mehr auf feministische Kreise reduzierter Schlachtruf, doch verhallt sein Echo – zahlreichen Statistiken über Frauen in Machtpositionen zu Folge – seltsamer Weise nach wie vor ohne durchgreifende Konsequenz. Als Frauenfeindlichkeit würde dieses Phänomen schon aus Gründen der politischen Korrektheit natürlich niemand mehr formulieren. Auch in
Rufmord will eigentlich niemand Hanson das hohe Amt verwehren, weil sie eine Frau ist. Aber weil sie eine Frau ist, wenden die politischen Gegner zur Durchsetzung ihrer Ziele ganz spezielle Taktiken an, die viel darüber aussagen, welches öffentliche Bild von Frauen auch heute noch dominiert.
... und zwiespältige Befürworter
Verräterisch verhalten sich dabei keineswegs nur die erklärten Gegner der Kandidatin: Schon der Präsident – den Jeff Bridges als aufgeschlossen-jovialen Kennedy-Clinton-Typ fast eine Spur zu ideal verkörpert – entscheidet sich für Hanson weniger, weil er ihre besondere Kompetenz schätzt, sondern mit scharf kalkuliertem Blick auf das weibliche Wählerpotenzial. Bezeichnend ist auch, wie er sich von ihr nach der ersten Unterredung verabschiedet: "Sie sehen fantastisch aus", sagt er im Ton echter Anerkennung, und seine engsten Berater nicken sofort im Eifer gönnerhafter Zustimmung. Kaum vorstellbar, dass der amerikanische Vizepräsident Al Gore bei seinem Amtsantritt mit Komplimenten über seinen perfekt sitzenden Anzug beglückwünscht wurde.
"Ideologische Vergewaltigung"
Auch ihre Widersacher haben Hanson vordergründig nicht im Visier, weil sie um die patriarchalische Weltordnung fürchten: der junge Kongressabgeordnete, der die Sexaffäre publik macht, sieht in erster Linie die Chance zu persönlicher Profilierung, und Shelley, der den Untersuchungsausschuss leitet, hat mit dem Präsidenten eine alte Rechnung zu begleichen. Aber beide betrachten eine Frau ganz offenbar als leichtes Opfer und beide wählen Waffen, die zur effektiven Torpedierung ihres Ziels besonders adäquat erscheinen – eine deutlich andere Strategie als gegenüber Männern kommt zum Tragen. Nachforschungen über ihre "moralische Eignung" müssen sich zwar auch männliche Kandidaten gefallen lassen, Hinweise auf die Zahl ihrer Sexualpartner während der Collegezeit und Fragen zur Familienplanung in ihrer Ehe und dem damit verbundenen Elternschaftsurlaub vermutlich nicht. Selbst die Beziehung zu ihrem Mann, der zunächst noch mit einer anderen Frau verheiratet war, wird gegen Hanson aufgeführt. Nicht von ungefähr ist an einer Stelle des Films von "ideologischer Vergewaltigung" die Rede.
Männliche Machtwörter
Gerade gegen die Art von Angriffen, die nur eine Frau parieren muss, wehrt sich Hanson, indem sie die entlastenden Beweisstücke der Öffentlichkeit vorenthält. Und sie wehrt sich gegen typisch männliche Mobbing-Methoden, wenn sie die Gelegenheit, ihrerseits Shelley bloßzustellen, bewusst nicht nutzt. Mit dieser Integrität bürdet ihr der Film natürlich eine enorme Hypothek auf – und sich selbst eine etwas zu idealisierte Sicht auf die herrschenden Regeln in der politischen Arena. Der Präsident nämlich wird am Ende seine Kandidatin trotz allem in einer flammenden Rede verteidigen – eine Szene, in der eher die Utopie regiert als die Wirklichkeit. Allerdings sieht der mächtigste Mann der Welt, man muss es ihm lassen, bei diesem Auftritt besonders gut aus.
Autor/in: Tamara Dotterweich, 01.06.2002