Hintergrund
Fußball - der Sport des 'kleinen Mannes'?
Ende des 19. Jahrhunderts wurde Fußball in Deutschland populär und entwickelte sich vom Spiel der Eliten zum Breitensport. Die sozialistische Arbeitersportbewegung organisierte Fußballspiele, es gründeten sich Vereine, die ersten Profiligen entstanden. Fußball wurde zum Zuschauersport und die Mannschaft repräsentierte nicht nur eine bestimmte Region, sondern auch die Lebenswelt ihrer Anhänger. Das Bild des Fußballs als der Sportart der unteren Schichten entstand und wurde von den Anhängern der Vereine gepflegt und zu einem Element der traditionellen Fankultur.
Tradition und regionale Verwurzelung
Die Verbindung von Fußball und Arbeiterschaft hat bis heute als Mythos überlebt, obwohl die Proficlubs längst keine Arbeitervereine mehr sind. Trotzdem wird von den Anhängern sehr genau unterschieden zwischen "Bonzenverein" und "Arbeiterverein". Neben der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht spielt auch die regionale Verwurzelung der Anhängerschaft eine große Rolle. So beeinflussen Wohl und Wehe der "Roten Teufel" des FC Kaiserslautern die Stimmung einer ganzen Region, die Dauerkarten für einen Sitzplatz im Fritz-Walter-Stadion werden über die Generationen weiter "vererbt". Ganz anders dagegen bei einem Verein wie Bayer Leverkusen, der als "Plastikklub" verspottet wird und dessen Anhänger in der Hauptsache über die Erfolge an den Verein gebunden sind.
Fanclubs und Gewalt
Das Bild der Fans in der Öffentlichkeit wird stark von den so genannten "Kuttenfans" geprägt, die erstmals in den 60er Jahren auftauchten und mit plakettierten Jeanswesten, anfeuernden Sprechchören und rhythmischem Klatschen auf sich aufmerksam machten. Es bildeten sich Fanclubs, die gemeinsame Fahrten zu jedem Auswärtsspiel ihres Vereins organisierten. Hier liegen die Ursprünge der besonderen Stimmung, die in den Stadien bis heute herrscht. Zugleich prägten diese Fangruppen aber auch nachhaltig das negative Image des Fußballs in der öffentlichen Meinung. Denn sie galten als gewalttätig und dauernd alkoholisiert. Anscheinend bestätigt wurden diese Vorurteile später durch die so genannten Hooligans, die durch gewalttätige Ausschreitungen immer wieder in die Schlagzeilen gerieten. Mancher Normalbürger traute sich nicht mehr in die Stadien. Die Vereine reagierten und machten die Fanbetreuung zu ihrer Sache. Es entstanden vielfältige Fanprojekte, mit deren Hilfe es gelang, die Gewalt in den Stadien zurückzudrängen.
Fußball als Wirtschaftsfaktor
Je mehr die Vereine in die Abhängigkeit von Agenturen und Sponsoren geraten, desto mehr geht die traditionelle Vereins- und Fankultur verloren. Sponsoren nutzen die historisch gewachsene Tradition oder den sozialen Stellenwert eines Vereins als Ressource, um Gewinne zu machen. Die Vereine sind zu Wirtschaftsunternehmen geworden, sie verlieren ihre Rolle als Sozialstation und Nachwuchsförderer. Fußball als Sport des kleinen Mannes – das war einmal. Die Lebenswelten der Spieler – teure Autos, Villen und millionenschwere Bankkonten – entfernen sich vom durchschnittlichen Fußballkonsumenten. Die Treue zum Verein, ein Merkmal der traditionellen Fankultur, gilt nicht mehr. Die Profis spielen dort, wo es am meisten zu verdienen gibt und entwickeln sich immer mehr zu Unternehmern in eigener Sache. Die europäischen Klubs suchen in der ganzen Welt nach Talenten, mit denen sie ihre Profiteams verstärken können. Ob albanischer Torhüter, brasilianischer Mittelfeldspieler oder nigerianischer Torjäger, die "Fußball-Legionäre" sind begehrt und erhalten Millionengehälter.
Endgültige Kommerzialisierung eines Vergnügens
Mit der Kommerzialisierung des Fußballs durch Fernsehen und Sponsoren trifft man in den Stadien zunehmend auf neue Fangruppen. Den eingefleischten Fans gelten sie als "Modefans", die sich ausschließlich mit dem Erfolg eines Vereins identifizieren und nach den ersten Niederlagen schnell wieder wegbleiben. Sie lieben es komfortabel und sind wohlhabend genug, um die teuren Sitzplatzkarten zu kaufen. Denn durch den Beschluss der UEFA, Europapokalspiele aus Sicherheitsgründen nur noch in Sitzplatzstadien auszutragen, sind die Eintrittspreise drastisch gestiegen. Der Soziologe und Fan-Forscher Gunter A. Pilz meint, dass der Stadionbesucher der Zukunft ein "Kunde im Vergnügungspark" sein wird: Nachdem die Besucher Eintritt gezahlt haben, sollen sie zunächst einmal im Stadion einkaufen oder essen gehen. Das Spiel steht dann nicht mehr unbedingt im Mittelpunkt.
Szene aus dem Film "Kick it like Beckham"
Stimmungsmache(r)
Schon heute können Besucher in den Logen des Bundesligavereins Werder Bremen Fernsehen schauen, wenn ihnen das Spiel zu langweilig ist. VIPs, Sponsoren, Politiker und deren Gäste sind nun gern gesehene Besucher, die sozial schwächeren Fans werden nach und nach aus den Stadien verdrängt. Viele Beobachter gehen davon aus, dass das Fußball-Publikum sich in Zukunft kaum noch vom elitären Tennispublikum in Wimbledon unterscheiden wird. "Logen statt Stehplätze, Hummer statt Bratwurst" ist die neue Formel, die für die Bundesliga-Stadien der Zukunft gelten soll. Das Problem dieser neuen Strategie ist allerdings, dass die Stimmung in den Stadien auf den "billigen" Stehrängen erzeugt wird. So müssen sich Vereine in Zukunft bezahlte Claqueure leisten, um ihre Spiele zu vermarkten. Der FC Bayern München ist da Vorreiter. Er bezahlt den Stimmungsmachern die Eintrittskarten.
Autor/in: Yvonne Reichert (punctum, Bonn), 21.09.2006