Ein älterer Mann verlässt sein Haus, er steigt in sein Auto und fährt langsam eine enge, belebte Straße entlang. Passanten kommen ihm auf dem Bürgersteig entgegen, sie grüßen, er grüßt freundlich durch die Windschutzscheibe zurück. Doch sobald das bekannte Gesicht aus seinem Blickfeld verschwunden ist, stößt der Fahrer einen unterdrückten Fluch aus : "Dreckskerl", "Hurensohn" und so weiter. Wegen der Diskrepanz zwischen äußerem Schein und innerer Wahrheit neigt der Zuschauer anfangs noch zum Lachen, doch je öfter sich die Situation wiederholt, um so unangenehmer wird sie.
Alltag im Nahost-Konflikt
Die Stadt, in der sich solche Szenen ereignen, heißt Nazareth. Die Geburtsstadt von Jesus ist seit 1948 israelisches Staatsgebiet. Sie steht im Mittelpunkt der ersten Hälfte des Films. Die zweite Hälfte spielt an einem Grenzübergang zwischen Jerusalem und Ramallah und teilweise in Jerusalem selbst. Ramallah liegt im Gebiet der Westbank, das seit 1967 von Israel besetzt ist. Die Wahl dieser Schauplätze weist auf die historische Entwicklung des Nahost-Konflikts hin. Geschildert wird er aus der Sicht der Palästinenser, die heute dort leben. Ihr Alltag ist der Gegenstand kleiner, sehr präzise beobachteter Szenen.
Vergiftete Beziehungen
In der Westbank leben die Palästinenser unter der Gewalt der israelischen Besatzer. In Nazareth, der größten arabischen Stadt im Staate Israel, können sie sich zwar frei bewegen, aber sie haben nicht die gleichen Rechte wie ihre jüdischen Mitbürger. Der Film zeigt, wie permanente Aggression und Misstrauen alle menschlichen Beziehungen vergiften. Regelmäßig wirft ein Mann seinen Müll in den Garten des anderen und das Schlagloch an einer Garagenzufahrt wird zubetoniert, um gleich darauf von den Nachbarn wieder aufgerissen zu werden. Es sind absurde Szenen, mal komisch, mal tragisch, aber immer von hohem Symbolwert. Sie sind oft fragmentiert und lassen erst in einer späteren Fortsetzung ihren Sinnzusammenhang erkennen. Gemeinsam bilden sie das Mosaik einer Welt, in der menschliche Zwietracht zur normalen Tagesordnung gehört.
Liebe im Niemandsland
Auf einem Parkplatz am Grenzübergang treffen sich ein Palästinenser aus Jerusalem – E.S. (dargestellt von dem Regisseur Elia Suleiman) – und eine Palästinenserin aus Ramallah. Solange sie sich als Paar nicht frei bewegen können, kann ihre Liebe keine Erfüllung finden. So sitzen sie schweigend nebeneinander im Auto und beobachten die Schikanen, denen ihre Landsleute bei der Einreise nach Jerusalem ausgesetzt sind.
Rachefantasien als eine Form von Gegengewalt?
Der Mann hat einen wilden Traum. Eine Gruppe israelischer Soldaten veranstaltet Schießübungen an Pappfiguren, die vermummte Palästinenser darstellen, bis plötzlich hinter einer Zielscheibe eine echte Palästinenserin auftaucht. Als unverwundbare Ninja-Kämpferin schwingt sie sich in die Lüfte und thront über ihren Angreifern in der Pose des Gekreuzigten. Die Kamera blickt über ihren mit Kugeln umkränzten Kopf auf die Israelis, die am Boden ihre Waffe auf sie richten. So wird der Zuschauer selbst zur Zielscheibe und das Leiden der Palästinenser zum Leiden Christi. Doch dieser weibliche Christus ist kämpferisch, nach und nach bringt er alle Angreifer zur Strecke. Es wäre falsch, in dieser Szene reine Demagogie zu sehen. Sie ist auch die gewollt naive, von Actionfilmen geprägte Rachefantasie eines Ohnmächtigen. Und diese Ohnmacht wird in vielen anderen, eher stummen Episoden noch eindringlicher formuliert. Sie weisen über die verständliche Parteilichkeit des Regisseurs hinaus und machen die Arbeit am Frieden zu einer universellen Aufgabe, die jedem Einzelnen obliegt.
Gesellschaftliche Selbstvergiftung
In einem Krankenhaus sehen wir Menschen, die vielleicht gerade erst von den Toten auferstanden sind, doch das Erste, was sie im wachen Zustand interessiert, ist der Griff nach der Zigarette. Nach und nach versammeln sich alle auf dem Flur, die eine Hand am Infusionsständer, die andere am Glimmstängel. Das ist kein gemeinsames Genussrauchen. Je länger die Kamera insistiert, desto zwanghafter wird die Situation. Sie verdichtet sich zur Metapher einer Gesellschaft, die nur noch eines verbindet: die Selbstvergiftung. Solche Bilder, die dem Zuschauer die Kraft des eigenen Denkens zumuten, sind die eigentliche Stärke des Films. Suleiman bevorzug Totalen und er nimmt sich viel Zeit, um zu beobachten, was in- und außerhalb (Ton) des Bildes passiert. Aus der Veränderung kann das Publikum seine eigenen Rückschlüsse ziehen.
Am Ende der Gewaltspirale
Göttliche Intervention ist parteiisch, weil er aus der Sicht der Palästinenser erzählen will. Der komplexe, poetische Stil und der subversive Humor des Films, der an Jacques Tati und Otar Iosseliani erinnert, weisen aber über die Probleme der Palästinenser hinaus. Dass der Film den Frieden wünscht, ist offensichtlich. Doch über den Weg dorthin bleibt er ratlos. Und so endet das Mosaik mit einer weiteren Metapher. E.S. sitzt zusammen mit seiner Mutter am Küchentisch, während zwischen ihnen im Hintergrund der Dampfkochtopf pfeift. Unendlich lange starren beide lethargisch auf den Topf, als ob sie eine Explosion herbeisehnen. Dann sagt die Mutter: "Jetzt reicht's. Stell' ihn ab!"
Autor/in: Harald Zander, 01.03.2003