Das Interview führte Margret Köhler.
Regisseur Hans-Christian Schmid bei den Dreharbeiten
Immer mehr Filme beschäftigen sich mit Emigration. Liegt das Thema in der Luft? Was war der Ausgangspunkt?
Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung über Flüchtlinge aus Pakistan, die nach London wollten und dann in Libnice abgesetzt wurden – mit mehr oder weniger denselben Worten wie die vom Lastwagenfahrer in
Lichter. Sie sollten sich tagsüber im Wald verstecken und abends dann auf die Lichter zugehen. Statt London war es dann Libnice. Bei mir heißt das Ziel im goldenen Westen Berlin. Es ist doch unglaublich, wie 20 Menschen auf diesem LKW auf Gedeih und Verderb einem Schlepper ausgeliefert sind. Diese Situation war Auslöser für zwei Geschichten, die anderen kamen im Verlauf der Recherche dazu, wie die von den jugendlichen Zigarettenschmugglern, von denen uns ein Bundesgrenzschützer erzählte. Dabei wollten wir eigentlich noch eine eigene Episode über Bundesgrenzschützer machen, aber wir haben es nicht geschafft, sie richtig weiterzuentwickeln.
Wie sind Sie auf diesen vom Schicksal gebeutelten Matratzenverkäufer gekommen?
Den haben sich Michael Gutmann und ich am Schreibtisch ausgedacht. Aber als wir nach Frankfurt an der Oder gefahren sind, haben wir gemerkt, dass es dort keinen einzigen Matratzen-Discount mehr gab, der letzte hatte wenige Wochen zuvor Pleite gemacht.
Im Grunde kämpfen alle Ihre Protagonisten um die Existenz, egal ob Flüchtling oder Einheimischer.
Frankfurt an der Oder ist sicherlich einer der nicht so begehrten Orte. Dennoch gibt es ein deutliches Gefälle in Richtung Polen, das fiel uns bei der Motivsuche auf. Es gibt eine Armut, die wir bei uns nicht mehr finden. Es ist auch auffällig, welche Vorurteile existieren, wie ein negatives Polenbild auf deutscher Seite aufrecht erhalten wird nach dem Schema: die klauen alle. Ein Journalist von der "Märkischen Oderzeitung" brachte es auf den Punkt. Die Frankfurter fühlen sich in Deutschland wie das letzte Huhn, aber im Vergleich mit den Polen als das vorletzte und das vorletzte Huhn hackt immer auf dem letzten herum.
Erstmals ist das keine Coming-of-Age-Geschichte wie Nach fünf im Urwald oder Crazy. Heißt das, auch der Regisseur Schmid ist erwachsen geworden?
Vielleicht. Nach
Crazy war es mir ein Bedürfnis, von dieser Thematik Abstand zu nehmen, wobei sich das in ein paar Jahren wieder ändern kann. Ich merkte schon bei der Arbeit, dies ist eine Art Schlusspunkt. Ich versuche,
Crazy,
23 und
Nach fünf im Urwald als ein abgeschlossenes Kapitel zu sehen.
Sie konzentrieren sich auch nicht mehr nur auf eine Figur oder Gruppe, sondern verknüpfen mehrere Mikrokosmen.
Ein Episodenfilm hat mich als Erzähler schon lange gereizt. Ich wollte ausprobieren, wie man Geschichten bearbeitet und verknüpft, wie man so kürzt, dass alle Figuren Platz haben. Der Fokus lag nicht auf einer Person, sondern auf einem Ort an der deutsch-polnischen Grenze. Wir stellten uns die Frage: wer lebt dort, was spielt sich da ab?
Erfordert ein Ensemblefilm eine andere Herangehensweise?
Ich versuche mich auf eine Episode, die man in nur zwei Wochen dreht, genau so stark einzulassen wie auf ein ganz normales Spielfilmprojekt. Mir gefiel der spannende Wechsel, manchmal hatte ich das Gefühl, einen neuen Film innerhalb dieser sechs Wochen anzufangen. Es herrschte auch die notwendige Intimität am Set, schon deswegen, weil wir alle in einem Hotel in Frankfurt an der Oder wohnten.
In welcher Sprache haben Sie sich am Set verständigt?
In allen möglichen. Es war schon etwas konfus. Mit dem jungen polnischen Kameramann Bogumil Godfrejow habe ich mich auf englisch unterhalten, auch mit den Schauspielern aus Moskau. In den ersten Tagen fand ich es noch seltsam, mit einem deutschen Szenenbildner oder Regieassistenten englisch zu reden, wenn der Kameramann daneben stand. Ich fühlte mich komisch, aber nach der ersten Woche war dieses Gefühl weg.