Pedro Almodóvar (Mitte) bei den Dreharbeiten
Was bedeutet der Titel "Mala educación"?
Meiner Generation und den ein, zwei folgenden wurde eine derartige katholische Erziehung zuteil, die auf Angst, Strafe und Schuldgefühlen basiert. Die Folgen habe ich selbst mit der Zeit überwunden. Wir reden über Priester und verbotene Liebe, sexuellen Missbrauch und Belästigung. Ich zeige einen Mann Gottes, der seine Machtsituation ausnutzt und ein sexuelles Verbrechen begeht, aber gleichzeitig Gefühle für das Kind hegt. Ich wollte, dass die Zuschauenden auf seinem Gesicht und in den Augen die Ambivalenz erkennen – den Schatten der Lust und den Schatten der Scham, die er beide gleichzeitig empfindet. Mich interessierte vor allem die dunkle Seite der Individuen. Pater Manolo ist ein Schinder. Aber auch ein Opfer, denn er ist mit einer tiefen, aber verbotenen Liebe konfrontiert, aus der er sich nicht lösen kann oder will. Das zweite Hauptthema ist die Rache.
Sie bezeichnen La mala educación als einen sehr persönlichen Film.
Alle meine Filme sind sehr persönlich, aber sie spiegeln nicht mein Leben wider. Sie sind insoweit persönlich, als sich hinter den Charakteren etwas versteckt, das ich kenne. Aber ziehen Sie jetzt keine autobiografischen Schlüsse. Ich bin den Figuren sehr nahe, aber präsentiere nicht meine Wunden der Kindheit. Natürlich habe ich Ähnliches beobachtet wie im Film, er nährt sich von Erinnerungen und Erfahrungen. Ein Freund von mir wurde als Kind missbraucht. Der Film zeichnet in einer sehr fundamentalen Weise den damaligen Zeitgeist und die Verwerfungen nach, aber die Ereignisse waren nicht Teil meines Lebens.
Welcher Person sind Sie näher: Ignacio oder Enrique?
Dem Ignacio. Ich schäme mich fast, es zu sagen, aber ich war auch Solist im Kirchenchor. Außerdem musste ich meinen zum Schweigen verdonnerten Schulkameraden bei den Mahlzeiten vorlesen. Ich erinnere mich auch noch daran, dass ich abends im Schlafsaal Geschichten von Märtyrern vorlas und anschließend unter Albträumen litt.
Im Gegensatz zu Enrique hat Ignacio kein schlechtes Gewissen oder die Vorstellung, zu sündigen.
Wenn ein Kind den Glauben verloren hat, verliert es auch das Bewusstsein der Sünde. Ich bin froh, dass die Padres es nicht geschafft haben, mir diese Vorstellung von Sünde aufzudrücken. Später dachte ich manchmal, ich sei total amoralisch, bis ich merkte, dass ich davongekommen war und von einer großen Freiheit profitierte. Aber mehr Ähnlichkeit zwischen Ignacio und mir gibt es nun wirklich nicht.
Können wir diesen Film als anti-klerikal und anti-religiös deuten?
Ich glaube nicht, dass ich einen anti-klerikalen Film gedreht habe. Die Kirche hat ihre eigenen Probleme und zerstört sich selbst ohne Zutun Außenstehender. Ich verberge aber nicht meine Faszination für katholische Rituale. Als katholischer Internats-Zögling verlor ich zwar meinen Glauben an Gott, aber ich glaubte an diese Zeremonien. Im Film benütze ich die Kirche als dekoratives Element mit ihren Heiligen, der Figur des Jesus und der Jungfrau Maria etc.
Was verbindet diesen Film mit Ihren früheren Werken? Es herrscht ein ähnlicher Ton.
Im Laufe der Jahre habe ich eine bestimmte Reife erlangt, dagegen kann ich nichts machen. Aber ich sehe keinen Gegensatz zwischen dieser Reife und der gleichzeitigen Rückkehr zu meinen Anfängen. Im Gegenteil, ich sehe das als Zeichen, dass ich wirklich erwachsen geworden bin. Seitdem ich Filme mache, behandele ich bestimmte Themen. Es ist an der Zeit, zurückzublicken, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu bemerken. Dieses Werk hätte ich vor 20 Jahren noch nicht drehen können.
Zusammenstellung: Margret Köhler