Das Interview führte Margret Köhler.
Sie erzählen von drei jungen Außenseitern, die ihre Wut auf die ungerechte Welt in Aktionen ummünzen. Fühlen Sie sich mit 34 Jahren eigentlich noch revolutionär?
Da ist noch Einiges offen, auch wenn ich eine Firma habe, einen Steuerberater und seit zwei Jahren eine eigene Mietwohnung. Dabei würde ich lieber in einem Haus mit vielen Leuten leben wie damals in der Zeit der Hausbesetzungen. Dieses Single-Dasein ist zum Kotzen. Wie in meinem ersten Film
Das weiße Rauschen geht es auch hier um das Thema Isolation und deren Überwindung. Der Mensch ist ein Herdentier, Einsamkeit macht krank. Bei mir ist es noch nicht so lange her, da wollte ich auch die Revolution und zwar sofort. Alles sollte sich ändern, heute, und nicht erst morgen. Ich wusste nur nicht, wohin mit der revolutionären Energie, und fand keine politische Gruppierung, der ich mich anschließen wollte.
Was hat gefehlt, das Spektrum ist doch ziemlich breit?
Mag sein, aber diese Vereinsmeierei, die Hierarchien und Vorschriften sind nichts für mich. Und dann kam mir die Idee, die mich in den letzten zehn Jahren bewegenden Gedanken in einem Film zu verarbeiten, in
Die fetten Jahre sind vorbei.
Sie sticheln ziemlich scharf gegen die Alt-68er.
Wir haben dieser Generation sehr viel zu verdanken: Liberalisierung, Emanzipation, mehr sexuelle Freiheit. Ich stelle die Frage: Wie verändert sich ein Mensch im Laufe seines Lebens? Muss man mit zunehmendem Alter wirklich immer konservativer werden, ist das ein Naturgesetz oder kann man auch kritisch bleiben? Deshalb richtet sich mein Film nicht nur an die jungen Menschen, sondern an alle, die im Kopf jung geblieben sind. Ich arbeite nicht zielgruppenorientiert.
Ein Großteil der Jugendlichen interessiert sich doch heute mehr für Labels und Shopping als für Gesellschaftsveränderung.
Diese Meinung teile ich nicht. Die jungen Leute haben keine Lust mehr auf Labels oder das Image einer Revolution schick verpackt in einem Laden verkauft zu bekommen, sondern sie wollen selbst etwas anpacken. Auch an den Universitäten tut sich was, da geht es nicht mehr automatisch vom Hörsaal ab in die große Karriere. Nur hört man leider wenig darüber. Wer jung ist, ist erst mal rebellisch. Und wer diese Phase nicht durchmacht, wird auch nicht wirklich erwachsen. Wer nichts ausprobiert, hat immer das Gefühl, etwas verpasst zu haben.
Ist für Sie Die fetten Jahre sind vorbei ein politischer Film?
Nicht im Sinne von Indoktrination, Pädagogik oder Didaktik. Der Zuschauer will keine Belehrung, sondern Unterhaltung. Deshalb darf auch mal gelacht werden.
Wie würden Sie Ihren Humor beschreiben: deutsch oder österreichisch?
Er ist an keine Tradition oder Nationalität gebunden, sondern einfach menschlich und vielleicht etwas naiv. Manchmal muss man sich eine bestimmte Naivität bewahren, auch politisch, sonst traut man sich nichts mehr.
Ist eine neue Zeit im deutschen Film angebrochen, in der man lockerer mit sozialen Themen umzugehen versteht?
Es bewegt sich jedenfalls was im deutschen Film, auch wenn sich immer weniger Zuschauer anspruchsvolle Filme ansehen. Eine neue Generation versucht, näher an die Realität heranzukommen, gesellschaftskritische Aspekte zu berücksichtigen, ohne die Unterhaltung zu vergessen. Ich denke da an Fatih Akin, Hans- Christian Schmid oder Ulrich Köhler. In Frankreich gilt Film als Hochkultur, als Religion, in Deutschland ist das leider noch anders.
Was ärgert Sie hier als Regisseur?
Es ist einfach schwieriger, in Deutschland zu arbeiten. Es gibt zu wenig Drehbücher, weil die Drehbuchautoren schlecht behandelt werden und auch zu wenig Förderung für unabhängige Filme. Die ARD zahlt 180 Mio. Euro für die Bundesliga, davon könnte man mindestens 100 Filme wie
Die fetten Jahre sind vorbei drehen. Je höher das Budget, um so strenger die Auflagen, darunter leidet die künstlerische Freiheit, das betrifft nicht nur den deutschen Film. In Deutschland und Österreich muss alles geplant sein wie in einer Fabrik, darf man nichts dem Zufall überlassen. Dabei ist Film nichts anderes, als dem Zufall Raum geben. Ich reagiere lieber schnell vor Ort.
Das weiße Rauschen war komplett improvisiert. Gab es jetzt ein Drehbuch?
Wir hatten ein Drehbuch, aber die Schauspieler konnten improvisieren. Die Besetzung ist das Wichtigste. Es dauerte acht Monate, bis ich mit Julia Jentsch die optimale weibliche Hauptrolle fand. Beim Drehen lasse ich viel Freiheit. Niemand muss einen Satz sagen, den er nicht will oder kann.
Fühlten Sie sich nach den positiven Kritiken für Das weiße Rauschen unter Druck?
Direkt nach dem Start schon. Meine Strategie lautete, so lange zu warten, bis alle mich vergessen haben, das ist mir gelungen. Ich kann mich gut zurückziehen. Das ist auch wichtig, weil ich mich in den Künstler und den Repräsentanten nach außen aufspalten muss. Außerdem bin ich als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent mit ganz unterschiedlichen Anforderungen konfrontiert.
Was verbindet Sie mit Daniel Brühl?
Für uns beide war
Das weiße Rauschen der Ausgangspunkt zum Erfolg. Wir sind zusammen groß geworden, uns verbindet eine Seelenverwandtschaft, wir können ohne viele Worte kommunizieren. Vor solchen genialen Schauspielern kniet jeder Regisseur auf dem Boden, sie verleihen der Handlung Glaubwürdigkeit und machen sie real. Wenn Daniel Brühl ins Bild kommt, ist das kein Film mehr, sondern Wirklichkeit. Deswegen habe ich einen unglaublichen Respekt vor ihm. Im Sommer 2005 drehe ich wieder mit ihm, diesmal einen relativ teuren Thriller.