Hawa Essuman wurde 1980 in Hamburg als Tochter ghanaischer Eltern geboren und wuchs in Nairobi, Kenia, auf. Sie arbeitete zunächst als Schauspielerin, später als Produzentin von Fernsehdokumentationen und Werbeclips. 2007 realisierte sie ihren ersten mittellangen Spielfilm
Selfish? (Kenia 2007) über die Schicksale zweier kenianischer Frauen. Nach
Soul Boy (Deutschland, Kenia 2010) arbeitet sie zurzeit am Drehbuch eines langen Spielfilms, der an der kenianischen Küste spielt.
Frau Essuman, wie sind Sie in Kontakt mit Tom Tykwer und One Fine Day Films gekommen?
Ich wurde eingeladen. Tom kooperierte mit Ginger Ink Films in Nairobi, bei denen ich bereits in der Produktion mitgearbeitet hatte. Sie suchten nach einem kenianischen Regisseur und haben mich gefragt, ob ich Interesse hätte. Tom und ich haben dann zuerst telefonisch Kontakt aufgenommen und uns dann getroffen. Wir haben uns gut verstanden und so kam die Zusammenarbeit zustande.
Ähnlich wie die Filme von Gaston Kaboré oder Ousmane Sembène vermischt auch Soul Boy Alltagsgeschichte, Mythos und Märchen zu einer vielschichtigen Realität. Inwiefern ist eine solche Erzählweise typisch für afrikanische Filme?
In Afrika vermitteln wir Botschaften anhand von Geschichten. Hinter einer fiktiven Filmstory verbirgt sich eine Moral wie bei einer Fabel. Durch diese fantastischen und magischen Elemente wird die Geschichte interessanter, beschäftigt den Geist, schärft die Aufmerksamkeit und die Bereitschaft, sich etwas anzusehen oder anzuhören, was uns sonst nicht interessieren würde.
Ist die Art wie der Junge lebt und die Wirklichkeit wahrnimmt, repräsentativ für das Leben von Kindern in der afrikanischen Gesellschaft?
Auf jeden Fall. Diese Kinder leben in Tandems: Tradition, modernes Leben, Spiritualität, Glaube an Magie und die Verankerung im Christentum gehen Hand in Hand. In unserer Gesellschaft koexistieren diese Dinge.
Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht, in Kibera zu filmen?
Kibera ist voller Menschen, voller Bewegung. Alle sind sehr neugierig, drängen sich um dich, schauen in die Kamera und wollen wissen, was hier gefilmt wird. Das war manchmal schon anstrengend. Aber sobald wir erklärten, worum es geht, haben sie uns unterstützt und waren voll und ganz dabei. Von 13 Drehtagen haben wir zwölf in Kibera gedreht. Samson, der Hauptdarsteller, lebt in Kibera, Lucy, die Frau, die seine Mutter spielte, die ganzen Statisten leben dort.
Soul Boy wäre nicht der Film geworden, der er jetzt ist, ohne diese Gemeinschaft.
Wie war die Zusammenarbeit mit Tom Tyker und Marie Steinmann, die ja auch aus einem ganz anderen Kulturkreis kommen?
Für mich war es super, denn ich bin wirklich neugierig auf andere Kulturen und darauf, wie unterschiedlich die Dinge dort gehandhabt werden. Auch Tom und Marie sind sehr offen. Wir haben uns gegenseitig beobachtet, wie wir an Dinge herangehen und haben dann einen Mittelweg gefunden. Auf die Ideen anderer Leute zu hören, ist ungeheuer fruchtbar. Und je stärker man sich unterscheidet, auch kulturell unterscheidet, desto fruchtbarer ist die Zusammenarbeit, denn man hat ganz unterschiedliche Perspektiven im Hinblick auf den Film. Es war nicht schwierig, es war eine inspirierende Erfahrung. Und ich würde sie auf jeden Fall wiederholen wollen.
Wie effizient empfinden Sie das Projekt One Fine Day Films als Instrument kultureller Entwicklungszusammenarbeit?
Für mich persönlich hat das Projekt große Effekte. Es hat mich dazu ermutigt, erstmals ein Drehbuch für einen langen Spielfilm zu schreiben. Ich habe vorher nur Drehbücher für kürzere Filme geschrieben, aber das hier ist etwas völlig anderes. Meine ganze Arbeitsweise ist viel professioneller geworden. Das wäre ohne die Erfahrungen, die ich durch
Soul Boy sammeln konnte, nicht möglich gewesen. Ich glaube die ganze Crew hat das Projekt als sehr befriedigend empfunden. Es hat uns alle irgendwie verändert. Wenn du Filme machen willst, dann war das eine wirklich gute Gelegenheit, etwas zu lernen, und sich dann weiter zu bewegen. One Fine Day Films bietet Perspektiven. Es liegt an einem selbst, was man daraus macht.