Benommen und schockiert
Reaktionen auf Saving Private Ryan in den USA
Die Psychologen im Washingtoner Verteidigungsministerium sind nicht gerade begeistert: Da haben sie sich jahrzehntelang erfolgreich bemüht, Hollywoods Kriegsfilme als plumpe Propaganda, patriotische Rührstückchen und fröhliche Indianer-Spiele erscheinen zu lassen. Und da kommt jetzt Steven Spielberg daher und vermasselt ihnen mit der magenumdrehenden Entlarvungsgeschichte Der Soldat James Ryan die ganze Psycho-Tour. Mit seinem neuen Film, der am 24. Juli in die amerikanischen Kinos kam, können die Amerikaner und der Rest der Welt die John Waynes und die Robert Mitchums getrost vergessen, die den Krieg als Emotions-Tralala auf einer Laienbühne spielten, aber nicht wirklich vermittelten. Wie die Kinogänger hautnah miterleben, hat Spielberg das Genre "Kriegsfilm" buchstäblich neu erfunden. Denn in Ryan ist nichts so wie in 'normalen' Kriegsfilmen, in denen wie beim Wildwest-Geballer schon von Anfang an feststeht, wer die Guten und wer die Bösen sind. Schon in seinem Welterfolg Schindlers Liste vor vier Jahren und mit dem Flop von Amistad im vergangenen Jahr hat Spielberg vorgeführt, dass die Weltgeschichte und die Beziehungen zwischen Menschen recht kompliziert sind und sich durchgängigen Beurteilungen entziehen. Und so gibt es auch bei Ryan keine Helden und kein dümmliches Kanonenfutter. Statt dessen fast ununterbrochen unvorstellbare Grausamkeiten, widerwärtiges Sterben, Terror und Angst.
Die Reaktionen des amerikanischen Kino-Publikums waren sehr unterschiedlich. Da gab es "so etwas Schlimmes darf man nicht zeigen"-Proteste. Etliche Besucher warfen Spielberg auch eine "schändliche Kommerzialisierung des menschlichen Leidens" vor, als ob die Zerrbild-Kriegsfilme alter Machart alles Wohltätigkeits- und Benefizveranstaltungen gewesen wären. Die meisten Besucher reagierten auf den Film aber eher benommen und schockiert. Und bei einigen Kriegsteilnehmern, Augenzeugen des wirklichen Krieges, verwischte der Film die Grenze zur verdrängten Realität. Die US-Medien berichteten von Veteranen, die sich in psychiatrische Behandlung begeben mussten. Wer das als "amerikanische Übertreibung" belächeln will, weiß nichts von psychiatrischen Anstalten in aller Welt, in denen sich auch heute noch alt gewordene Männer und Frauen befinden, die im und durch das Kriegsgeschehen "den Verstand verloren" haben.
Hat er in seinen Film die Handlung eines eher banalen Hollywood-Rührstücks eingesponnen, in dem ein Suchtrupp losgeschickt wird, um den als Fallschirmjäger hinter feindlichen Linien in der Normandie verschollenen James Ryan zu suchen und unversehrt nach Hause zu schicken, weil seine drei Brüder binnen weniger Tage gefallen sind. Mit dem dramaturgischen Mittel der letztlich erträglich und konsumierbar gemachten Realität versucht Spielberg, bei amerikanischen Kinogängern ein neues Realitätsbild vom Krieg zu schaffen, statt wie manche Filmemacher die Realität des Kriegs verkitschen, verdrehen, heroisieren oder missbrauchen.
In einer nur wenige Sekunden dauernden Szene deutet Schindler-Verfilmer Spielberg aber auch an, dass ein Krieg nicht automatisch ohne jegliche moralische Berechtigung ist. Indem er ein Mitglied des Suchtrupps den an ihm vorbeiziehenden deutschen Kriegsgefangenen seinen an einer Halskette baumelnden Davidstern entgegenhalten und "Juden, Juden" sagen lässt, stellt Spielberg unausgesprochen die Frage nach Recht und Unrecht dieses Krieges.
Autor/in: Peter W. Schroeder, Washington, 11.12.2006