Angriff auf die Demokratie
Terror (lat. "Schrecken") ist eine Kampfmethode, die das kollektive Bewusstsein einer Gesellschaft erschüttern will. Ziel des Terroranschlags ist nicht (oder nicht in erster Linie) der taktische oder strategische Vorteil durch Zerstörung wichtiger Einrichtungen oder durch Tötung einzelner oder von Personen des öffentlichen Lebens. Bei Anschlägen stehen nicht so sehr die jeweiligen Opfer oder die materiellen Schäden im Vordergrund, Terrorakte sollen vielmehr eine möglichst große Panik bewirken und Verunsicherung, Verwirrung und Einschüchterung hinterlassen.
Demokratien sind durch Terror besonders verletzbar, denn sie bieten einen großen individuellen Freiraum, der sich auch für terroristische Aktivitäten nutzen lässt. Freie Grenzen, freie Wahl der Wohnung und der Berufsausübung erleichtern Vorbereitungen in Tarnorganisationen usw. Die Freiheit der Berichterstattung sorgt dafür, dass die Nachricht vom gelungenen Terroranschlag sich rasch und ungehindert verbreiten kann. Die Eigendynamik der Medienkonkurrenz bewirkt sogar, dass die emotionalen Terroreffekte verstärkt werden. In Diktaturen können dagegen Widerstandsorganisationen mit Terroranschlägen allein wenig bewirken, weil das staatliche Nachrichtenmonopol dafür sorgen kann, dass über einen Sprengstoffanschlag beispielsweise überhaupt nicht berichtet wird, Bekennerschreiben gar nicht erst veröffentlicht werden. Demokratische Politik besteht aus einem offenen, gewaltfreien Diskurs über politische Probleme und einem geregelten Entscheidungsprozess, dessen jeweiliges Ergebnis für absehbare Zeit respektiert werden muss. Unter den Bedingungen von Terror und öffentlicher Panik ist demokratische Politik nicht möglich, denn wenn der politische Diskurs von terroristischer Gewalt überlagert wird, können die Regeln demokratischer Entscheidung nicht mehr eingehalten werden.
Terrorbekämpfung kann jedoch selbst zum Terror werden. Abwehr terroristischer Gewalt ist substanzielle Selbstverteidigung der Demokratie. Sie muss aber erkauft werden durch Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten. Das ist auch bei anderen Abwehrmaßnahmen gegen Allgemeingefahren nicht zu vermeiden, muss sich aber an rechtsstaatliche Regeln halten. Besonders jede staatlich- polizeiliche Maßnahme muss an eine rechtmäßig definierte Auftragslage und an eine demokratisch- rechtsstaatliche Kontrolle gebunden sein.
Mit den fortgeschrittenen technischen Möglichkeiten der persönlichen wie globalen Überwachung, die allein schon ihrem Zweck nach der breiten Öffentlichkeit nicht in allen Einzelheiten bekannt sein können, stehen der Staatsmacht längst außerordentliche Befugnisse und Mittel zur Bekämpfung des Verbrechens zur Verfügung, die freilich auch zu Machtmissbrauch führen können, besonders wenn die Kontrolleure selbst keiner Kontrolle mehr ausgesetzt sind. Wie jedes Wertesystem müssen auch die demokratischen Grundwerte daher ständig neu geprüft und in die Praxis umgesetzt werden.
Autor/in: Hans Friedrich, 11.12.2006