Es ist das Jahr 1998. Der Zweite Weltkrieg ist seit 53 Jahren vorbei, die Nazi-Vergangenheit für die meisten Deutschen fern – nicht jedoch für den aufstrebenden Anwalt Peter Rohm. Er will ein Buch über den KZ-Arzt Josef Mengele schreiben, den "Engel von Auschwitz", so die Bezeichnung für diesen bestialischen Mörder. An seinem Geburtstag wird der junge Mann nach Argentinien entführt und kommt kurz darauf zurück, mit dem totgeglaubten Mengele, der vor versammelter Presse verkündet, Rohm werde ihn in einem Jahrhundertprozess verteidigen. Zu Beginn weigert sich der Anwalt, doch dann kann er sich der Faszination des Bösen nicht entziehen, zumal Mengele ihm mit dem Wissen über seine Mutter erpresst, die als junges Mädchen vorübergehend in einer Euthanasieklinik arbeitete. In Aufsehen erregenden Verhandlungen vertritt Rohm eloquent die Interessen seines Mandanten, kann bald nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden, begibt sich auf eine gefährliche Gratwanderung. Als der todkranke Mengele seine Gräueltaten damit rechtfertigt, er habe Leben verlängert, den Opfern durch "wissenschaftliche Nutzbarmachung" sogar Leid erspart, bringt er Alt- und Neonazis gegen sich auf, erscheint der Verteidiger plötzlich als Sympathisant der rechten Szene; Skinheads 'schützen' sein Haus, die Ehe gerät in Gefahr.
Roland Suso Richter stellt in seiner fiktiven Geschichte die Frage, was wäre, wenn der 1985 in Brasilien gestorbene Mengele noch leben und sich dem Gericht stellen würde? Dabei übernimmt Rohm die Rolle des Advocatus Diaboli, der versucht, seinen Mandanten mit allen juristischen Kniffen zu verteidigen – nicht zuletzt aus Profilierungsgründen. Gleichzeitig stellt er den Rechtsstaat auf den Prüfstand, in dem es Alt-Nazis zu einflussreichen Positionen gebracht haben. Der Prozess, der zum "Albtraum" einer Nation werden könnte, wird auch zum Tribunal über das Unvorstellbare, denn Mengele gehört zu den monströsesten Figuren des Dritten Reiches. Getrieben von einem fanatischen Rassenhass – Roma und Sinti hasste er noch mehr als Juden – fand er sich durch die abstrusen Theorien des Nazi-"Philosophen" Alfred Rosenberg bestätigt und führte im KZ Auschwitz brutalste Experimente durch, vor allem an Zwillingen und zwergwüchsigen Menschen.
Man merkt dem Film an, dass er mit Blick auf den internationalen Markt und für ein breites Publikum konzipiert wurde, verbindet er doch reißerische Action-Szenen, Entführung, Explosionen, Straßenschlachten und eine Love-Story. Vielleicht überforderte der diffizile Stoff – das Original-Skript stammt eigentlich aus Amerika –auch Drehbuchautor Johannes W. Betz, der bisher mehr durch Krimi-Serien und TV-Movies auffiel. Vieles wirkt aufgesetzt: die spektakuläre Entführung, Gespräche zwischen Mengele und Rohm in Argentinien, die Geschichte von Rohms Mutter, die als Lernschwester an einem Euthanasieprogramm beteiligt war und vor Gericht in einer Art "Coming Out" ihre Aussagen macht. Zwar verkörpert Götz George die Inkarnation des Bösen mit Verve, aber die Maske gibt ihm kaum Möglichkeit zu größerer Mimik (man 'vergaß', Hände und Körper adäquat anzupassen). Auch Kai Wiesinger findet schnell in die anspruchsvolle Rolle hinein.
Berührend das Auftreten der Opfer von Mengeles medizinischen Versuchen vor Gericht. Wenn Rohm sich permanent an deren Gedächtnislücken nach 50 Jahren festbeißt und ihnen falsche Erinnerungen oder gar Lüge unterstellt, vermittelt sich dem Zuschauer Hilflosigkeit, Trauer, aber auch unermessliche Wut. Es sind diese Momente, die dem Film seine Berechtigung geben. Wenn eine Überlebende erzählt, wie Mengele an der Rampe selbstherrlich Selektionen vornahm und entschied, wer in der Gaskammer landete, wenn ein Mann mit gebrochener Stimme schildert, wie bei Mengeles Experimenten mit Zwillingen Kinder aneinandergenäht wurden und bis zu ihrem Tod nur noch still weinten, ist das Grauen fast physisch erfahrbar.
Neben Mengeles Untaten problematisiert der Spielfilm den inneren Konflikt des Anwalts, der zwischen moralischem Abscheu und beruflicher Herausforderung pendelt und am Ende in einem eindrucksvollen Plädoyer sich gegen seinen Mandanten entscheidet: Mengele sei ein Monster, auch "wenn die Zeit ihn dazu machte". Der Regisseur bewegt sich trotz dieser späten, eindeutigen Stellungnahme auf schwankendem Boden. Sein Versuch, Fiktion und Dokumentarisches zu verbinden, gelingt ihm nicht immer, so dass der Film neben den formalen Schwächen auch in dieser Hinsicht nur kontrovers zu beurteilen ist. An der honorigen Absicht sollte man nicht (ver)zweifeln, aber zu viele psychologische Unstimmigkeiten irritieren. Bleibt zu hoffen, dass der Film den Zuschauer sensibilisiert – nicht nur für vergangene Taten, sondern auch für Unrecht in der Gegenwart. Die Bemerkung Rohms, ein Stück Mengele stecke in jedem Menschen, sollte Warnung sein.
Autor/in: Margret Köhler, 09.08.1999