Holocaust in Ungarn
Schlaglicht
In seiner Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung "Politik der Vernichtung" (Piper Verlag, München 1998) zeichnet der Historiker Peter Longerich auch das besondere Schicksal der ungarischen Juden nach. Ungarn hatte sich in den 30er Jahren unter Reichsverweser Miklós Horthy der Achse Berlin-Rom angeschlossen und war 1941 auf der Seite der Achsenmächte in den Krieg gegen Jugoslawien und die UdSSR gezogen. Dennoch weigerte sich die Regierung, die Juden ganz aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben Ungarns auszuschließen oder gar zu deportieren, wie in den umliegenden Ländern bereits geschehen.
Als sich 1943 die bevorstehende militärische Niederlage Deutschlands abzuzeichnen begann, versuchte Horthy Kontakt zu den Westalliierten aufzunehmen und erhoffte sich von diesen eine "Verschonung" nach Kriegsende, nicht zuletzt wegen der im Lande verbliebenen Juden. Um den "abtrünnigen" Verbündeten bei der Stange zu halten und ihn auf Gedeih und Verderb an sich zu binden, zwangen die Nazis die ungarische Regierung daher zur Deportation der Juden: Nach dem Einmarsch der Wehrmacht im März 1944 wurde ein Sondereinsatzkommando unter Eichmanns persönlicher Leitung gebildet und die Todesmaschinerie in den hierzu gebildeten sechs Zonen in unglaublichem Tempo vorangetrieben. Binnen sieben Wochen deportierte man aus den fünf ersten Zonen 437.000 Menschen, von denen die meisten gleich nach ihrer Ankunft in Auschwitz ermordet wurden. Anfang Juli kam Budapest als letzte Zone mit seinen etwa 200.000 jüdischen Einwohnern an die Reihe (siehe auch den Dokumentarfilm The Last Days von Bruno Moll). Doch nach einem Protest der Alliierten ließ Horthy die Deportationen vorübergehend einstellen und bekam von Hitler sogar genehmigt, einer begrenzten Zahl von Juden die Ein- bzw. Durchreise in andere Staaten zu gestatten – falls das eigentliche Ziel der "Endlösung" damit nicht gefährdet würde. Um so überraschender kam am 25.8.44 der Befehl von Himmler, alle weiteren Judentransporte aus Ungarn einzustellen. Nachdem die Pfeilkreuzler unter Szálasi die Regierung übernommen hatten, kehrte Eichmann im Dezember aber nach Ungarn zurück und die verbliebenen Juden wurden auf Todesmärsche gesetzt oder lebten unter unmenschlichen Bedingungen in Ghettos, bis Budapest im Februar 1945 kapitulierte.
Autor/in: Holger Twele, 11.12.2006