Es ist selten, dass ein Film, bei dem zwischen Produktion und Kinostart oft mehr als ein Jahr vergeht, exakt den Nerv der Zeit trifft und die aktuelle gesellschaftliche Situation widerspiegelt. Bei Joel Schumachers Verfilmung des ersten Grisham-Romans 'A Time to Kill' (1989), der noch nicht die Glätte von dessen Folgewerken 'Die Firma', 'Die Akte' oder 'Der Klient' hat, ist das der Fall: In Amerikas Südstaaten brennen 1996 die Kirchen der Schwarzen, der alltägliche Rassismus nimmt weltweit zu, der Ruf nach Selbstjustiz speziell bei Kindesmissbrauch ist bei aktuellen Fällen auch in Deutschland zu hören. Und gerade diese brisanten Themen behandelt der Film. Die Geschichte spielt in den amerikanischen Südstaaten, dort wo man hinter vorgehaltener Hand die farbigen Mitbürger noch 'Nigger' nennt, die ewig Gestrigen von einem weißen, ethnisch 'reinen' Amerika träumen, und der Ku-Klux-Klan noch mit flammenden Kreuzen sein Unwesen treibt. Als die zehnjährige Tochter des schwarzen Arbeiters Carl Lee Hailey von zwei Rednecks brutal misshandelt und vergewaltigt wird, die nur durch Zufall überlebt, rächt sich der Vater, zumal bei einem ähnlichen Vergewaltigungsfall das Gericht die Typen laufen ließ. Er knallt die Täter auf dem Weg zur Verhandlung nieder und verletzt dabei auch einen weißen Polizisten. Sein Verteidiger, der junge, anfangs sehr karrierebewusste, weiße Anwalt Jake Brigance (Matthew McConaughey) will ihn vor der Todesstrafe bewahren. Bei weißen Geschworenen und einem weißen Staatsanwalt ein aussichtsloses Unterfangen, auch wenn ihm die Jurastudentin Ellen Roark (Sandra Bullock) tatkräftig zur Seite steht.
Der Prozess gegen Carl Lee Hailey polarisiert die Bevölkerung, nimmt politische Dimensionen an, verschiedene Interessengruppen benutzen den Fall zur Durchsetzung eigener Ziele, das kleine verschlafene Provinzkaff wird zum gesellschaftlichen Mikrokosmos. Fast 150 Minuten dauert dieser Kampf um Gerechtigkeit und Gleichheit, von Langeweile keine Spur. Bei dieser bewegenden und schonungslosen Abrechnung mit einer manchmal umstrittenen Rechtspraxis und einer relativ unkritischen Gesellschaft verzeiht man sogar das tränenreiche Schlussplädoyer à la Hollywood. Geschickt knüpft Schumacher die verschiedenen Handlungsstränge zusammen, verzichtet auf viele Nebenschauplätze des Buches und lässt dennoch hautnah die vergiftete Atmosphäre von Hass, Rassismus und Gewalt spüren. Da fackelt ein gespenstischer Ku-Klux-Klan das Haus des Rechtsanwaltes ab, schreckt auch vor Einschüchterung und Mord nicht zurück. Das hässliche Amerika zeigt sein Gesicht, Martin Luther Kings Marsch auf Washington im Jahre 1963 scheint vergessen, die Gleichheit von Schwarz und Weiß trotz allem Ostküsten-Liberalismus ins Reich der Utopie zu gehören. Grisham, der zehn Jahre als Strafverteidiger arbeitete, bevor er 1984 zu schreiben begann, erlebte einen ähnlichen Fall vor Gericht, den er als Ausgangspunkt nahm. In
Die Jury wollte er durchspielen, "wie eine Jury aus zwölf weißen Schöffen einen schwarzen Vater beurteilen würde, der genau das getan hatte, was jeder Schöffe an seiner Stelle auch hätte tun wollen". Die filmische Umsetzung dieses Konflikts weckt Sympathien und Verständnis für den Vater, auch wenn deutlich wird, dass Selbstjustiz keine Lösung sein darf. Schumacher legt sich hier aber bewusst nicht fest, "jeder muss das für sich selbst entscheiden".
Während sich im ersten Teil die Ereignisse überschlagen und die Gefühle des Zuschauers angesprochen werden, konzentriert sich die zweite Hälfte auf den Prozess und juristische Spitzfindigkeiten. Der Film mündet dann in einen differenzierten Diskurs über die unterschiedliche Wahrnehmung von Wirklichkeit und die Unmöglichkeit von Gleichberechtigung, was aber nicht heißt, den Kampf für Toleranz aufzugeben. Die Suche nach der Wahrheit hinter den Fakten entwickelt sich zum raffinierten Puzzle. Es geht für Anklage und Verteidigung darum, die Geschworenen zu überzeugen, wenn nicht mit Argumenten, dann mit Polemik oder dem Druck auf die Tränendrüse.
Die Jury provoziert Diskussionen, fordert Positionen und lockt Emotionen heraus. Und wenn Carl Lee im Zeugenstand sagt: "Ich bereue nichts und hoffe, dass die beiden in der Hölle schmoren", wird ihm wohl so mancher Zuschauer aus dem Bauch heraus zustimmen. Aber Recht und subjektiv empfundene Gerechtigkeit sind nicht selten ein Gegensatz.
Autor/in: Margret Köhler, 01.10.1996