Im Frühjahr 2014 bricht ein bewaffneter Konflikt im Osten der Ukraine aus. Die schweren Kämpfe zwischen ukrainischen Streitkräften und prorussischen Separatisten ziehen sich über Jahre hinweg. Versuche, den Krieg durch Deeskalationsabkommen einzudämmen, scheitern an wiederholten Verstößen gegen die vereinbarte Waffenruhe. Direkt an der Konfliktlinie liegt Hnutove. In diesem kleinen
Dorf nahe Mariupol wächst Oleg bei seiner Großmutter auf. Wie der deutschsprachige Titel
Oleg, eine Kindheit im Krieg des 2017 erschienen Dokumentarfilms verrät, ist der Alltag des 10-Jährigen ganz vom Krieg gezeichnet. In der Schule klärt man Olegs Klasse über den Umgang mit Minen auf. Seine Großmutter stellt ein Bett in den Keller, um dort zur Not übernachten zu können. Und ein jugendlicher Nachbar zeigt Oleg, wie man eine Waffe bedient. Obwohl Oleg weiß, dass er tapfer sein muss, kann er seine Angst nicht immer ausblenden – zu laut sind die Knalle und Schüsse, zu hell die Brände am Horizont. Oleg flüchtet sich immer wieder in kindliche Routinen und Spiele mit Gleichaltrigen und kann auf den Zuspruch seiner liebevollen Großmutter zählen. Doch der Alltag bleibt gefährlich.
Der dänische Dokumentarfilmemacher Simon Lereng Wilmont hat den Jungen und seine Großmutter ein Jahr lang mit der Kamera begleitet und nähert sich Olegs Welt schrittweise an. Dass das Kind zu Beginn des Films bei phyischer Arbeit, nämlich beim Holzhacken, gezeigt wird, lässt zunächst nichts Gutes erahnen. Doch Olegs Umgang mit seiner Oma ist zärtlich und verspielt. In den darauffolgenden
Szenen erschließt sich uns zunehmend der gravierende Hintergrund seines Alltags und der Film entfaltet seine
Direct Cinema-Ästhetik, die gelegentlich durch essayistische Einschübe ergänzt wird. Zwar liegt der Fokus bis zum Ende auf der kindlichen Sicht von Oleg, doch wird diese kontextualisiert, etwa wenn die Großmutter im Voice-Over über ihre Kriegserfahrungen berichtet oder Truppenbewegungen, Explosionen und die Trümmerhaufen nach einem Bombenangriff zu sehen sind. Die Kameraführung ist stets dynamisch. In
Nahaufnahmen verweilt die Kamera immer wieder auf den Gesichtern von Oleg und den Menschen in seinem persönlichen Umfeld und vermittelt so deren Gefühle.
Der Film erkundet die Schrecken des Krieges jenseits militärisch-strategischer Erwägungen. Kriegshandlungen werden aus der Ferne oder indirekt gefilmt, und doch ist der Film ein Dokument ihrer grausamen Folgen für die Zivilbevölkerung. Im Fach Politik bietet sich deshalb anhand des Alltags der Titelfigur eine Diskussion über die humanitären Folgen von Krieg an. Im Ethikunterricht kann Olegs Gespräch mit seiner Großmutter weitergeführt werden, die ihn für sein Spiel mit Waffen rügt. Der Film führt deutlich vor Augen, dass bereits 2014 kriegerische Auseinandersetzungen auf dem Hoheitsgebiet der Ukraine stattgefunden haben. Im Geschichts-, Politik- und Sozialkundeunterricht kann analysiert werden, wie es zu diesen Kriegshandlungen gekommen ist und warum dieser Konflikt in den vergangenen Jahren weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden war und erst mit der im Februar 2022 begonnenen russischen Invasion neue Beachtung gefunden hat. Außerdem kann besprochen werden, warum persönliche Geschichten zunehmend als integraler Bestandteil von Geschichtsschreibung angesehen werden.
Arbeitsblatt zu Oleg. Eine Kindheit im Krieg
Fächer: Politik, Geschichte, Sozialkunde, Ethik, Philosophie ab 14 Jahre, ab 9. Klasse
Vor dem Filmbesuch:
a) Am 24. Februar 2022 begann die Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Doch der Konflikt zwischen den beiden Ländern währt schon viel länger. Bereits im Jahr 2014 annektierte Russland die Krim, eine Halbinsel in der Ostukraine.
Verschafft euch durch die Lektüre des folgenden
Artikels einen groben Überblick über die aktuelle Situation im Kriegsgebiet und wie es zum Angriffskrieg gegen die Ukraine gekommen ist.
Fasst die wichtigen Aspekte in Stichpunkten zusammen, sodass ihr in der Lage seid, sie mündlich prägnant wiederzugeben.
b) Der Dokumentarfilm
Oleg. Eine Kindheit im Krieg spielt im Gebiet Donezk in der Ostukraine. Sucht die Region auf einer Karte (z.B.
Google Maps) und lest euch folgenden
Artikel durch, um einen Überblick über die Situation in der Region zu erhalten.
Hinweis: Teilaufgaben a) und b) können auch arbeitsteilig über ein
Expertenpuzzle bearbeitet werden.
c) Bei
Oleg. Eine Kindheit im Krieg handelt es sich um einen Dokumentarfilm. Lest euch den Glossareintrag zum Dokumentarfilm auf kinofenster.de durch. Haltet die Kriterien der Gattung für die Filmsichtung bereit.
Während der Filmsichtung:
d) Achtet besonders auf die beiden folgenden Aspekte. Teilt euch in den Beobachtungsschwerpunkten mit einer/einem Partner/in (A/B) auf.
A: Achtet während des Filmbesuchs besonders auf den Jungen Oleg. Wie gestaltet sich seine Kindheit im Krieg? Legt den Fokus auf sein Spiel und auf seine Beziehung zu seiner Großmutter.
B: Achtet während des Filmbesuchs darauf, welche in c) erarbeiteten Kriterien des Dokumentarfilms auf Oleg. Eine Kindheit im Krieg zutreffen. Wie wird der Krieg im Film dargestellt?
Macht euch während des Films und/oder unmittelbar danach stichpunktartig Notizen.
Nach dem Filmbesuch:
e) Kommt im Plenum oder in Kleingruppen zusammen. Wie fühlt ihr euch unmittelbar nach dem Film? Was geht euch durch den Kopf? Sprecht offen über die Emotionen, die euch bewegen. Überlegt, warum das so ist.
f) Findet euch zu zweit zusammen. Gleicht eure Notizen aus d) untereinander ab, die ihr während des Films gemacht habt
1. Auf der Ebene des Inhalts: Was erfahrt ihr über Oleg? Wie und mit wem lebt er? Welche Rolle spielen die Menschen in seinem Leben? Welche Spiele spielt er? Wie geht er mit der Kriegssituation um?
2. Auf der Ebene der filmästhetischen Mittel: Wie geht der Filmemacher bei seinem Dokumentarfilm vor? Welche filmästhetischen Mittel nutzt er und wie wirken diese?
g) Tragt eure Ergebnisse im Plenum zusammen.
h) Seht euch gemeinsam im Plenum die folgenden Sequenzen noch einmal an: 0:04:20–0:06:30 und 01:21:25–01:22:50. Sammelt Adjektive, die die Beziehung zwischen Enkelsohn und Großmutter beschreiben. Haltet sie an der Tafel fest.
i) Seht euch zu zweit noch einmal die folgende
Sequenz an: 0:32:20-0:40:00.
1. Haltet mündlich fest, was inhaltlich passiert und wie es filmisch umgesetzt ist.
2. Vervollständigt nun den folgenden Satz:
"Für den Jungen Oleg ist seine Kindheit im Krieg...".
Der Satz soll zwar von der Sequenz ausgehen, aber exemplarisch für den Film stehen.
j) Präsentiert euren Satz im Plenum. Begründet, weshalb ihr diesen Satz gewählt habt. Stellt Überlegungen an, anknüpfend an die Ergebnisse aus h), welchen Wert die Beziehung der Großmutter für Olegs Kindheit im Krieg hat.
k) Aus einer
soziologischen Analyse geht hervor, dass die Volksrepublik Donezk, in der auch Oleg mit seiner Großmutter lebt, eine „Republik der Rentner und Kinder“ sei. Tragt mögliche Gründe für diese Situation zusammen. Nutzt dazu euer Wissen aus dem Film und führt mindestens ein konkretes Beispiel an.
l) Diskutiert im Plenum, ob/wie der Film euren Blick auf den Krieg in der Ukraine verändert hat.
m) In Geschichtsbüchern findet man nach wie vor häufig überwiegend politische Informationen zu wichtigen historischen (Krisen-)Ereignissen. Sammelt im Plenum Gründe, weswegen es unerlässlich ist, auch persönliche Geschichten der betroffenen Menschen als wichtigen Teil von Geschichtsschreibung zu begreifen. Geht dabei von eurer eigenen Erfahrung mit dem Film aus.
Optional für die Gesellschaftswissenschaften:
Die Menschen in der Ukraine und die, die bereits aus dem Land geflüchtet sind, brauchen dringend Unterstützung. Es gibt sehr viele Möglichkeiten, von Deutschland aus zu helfen, sei es über Sach- oder Geldspenden oder durch direkte Kontaktaufnahme mit den geflüchteten Menschen. Einigt euch in der Klasse/im Kurs auf ein Hilfsprojekt und organisiert es gemeinsam. Mögliche Aktionen und Fragen, die ihr euch bei der Organisation stellen könnt:
- Sammelaktion für Sachspenden, z.B. für eine Aufnahmestelle in eurer Region
o Wo wird gesammelt und verteilt?
o Was wird ganz konkret benötigt?
o Auf welche Weise und über welche Plattformen kann zum Spenden aufgerufen werden?
- Geldspendenaktion, z.B. im Rahmen eines Schulfestes über Kuchenverkauf etc.
o Wohin soll das Geld gespendet werden?
o Für welchen konkreten Zweck soll das Geld einsetzt werden?
o Auf welche Weise und über welche Plattformen kann zum Spenden aufgerufen werden?
Autor/in: Konstanty Kuzma (Filmbesprechung), Dr. Elisabeth Bracker da Ponte (Arbeitsblatt), 23.03.2022
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