Im China des Jahre 1971 nimmt Maos Kulturrevolution immer noch großen Einfluss auf das Alltagsleben vieler Menschen. Auch der 17-jährige Ma und der 18-jährige Luo können deshalb nach Abschluss der Oberschule nicht studieren, sondern werden zur Umerziehung in ein abgeschiedenes Bergdorf geschickt, um dort die harte Arbeit der Bauern zu teilen. Nach einigen Monaten Feldarbeit dürfen sich die beiden einen Film in der nahen Kreisstadt ansehen, den sie später den Dorfbewohnern überaus erfolgreich nacherzählen. Ihr Ansehen dringt sogar bis ins Nachbardorf, wo sich beide in die Enkelin eines alten privilegierten Schneiders verlieben. Die gemeinsame Begeisterung der jungen Leute für Geschichten und das geschriebene Wort bringt sie mit dem Gesetz in Konflikt, das ihnen alle literarischen Bücher verbietet. Ihre Beschäftigung mit der Literatur ändert schließlich ihr Leben und besonders das der kleinen Schneiderin, die sich von Balzacs Werken magisch angezogen fühlt. – Selten genug, dass ein Autor seinen eigenen Bestseller verfilmt. Dai Sijie hat das Kunststück geschafft, sein bereits international erfolgreiches Buch in einen sehr poetischen und anrührenden Film umzuwandeln, der die Dreiecksgeschichte vor großartiger Landschaftskulisse in Szene setzt. Buch und Film weisen autobiografische Bezüge auf, denn der 1984 nach Paris emigrierte Sijie wurde als Jugendlicher von 1971 bis 1974 im Zuge der "kulturellen Umerziehung" selbst in ein Bergdorf verschickt. Statt wieder einmal mit der Kulturrevolution abzurechnen, nutzt der Autorenfilmer sein filmisches Kleinod zu keinesfalls langweiligen Reflexionen über das Wesen der Literatur, ihre Rolle für das Leben und den Sinn von Bildung. Wenn man so will, ist das jetzt die chinesische Variante von Fahrenheit 451 .
Autor/in: Holger Twele, 01.12.2003