Eine psychisch labile Französin fährt jedes Jahr erneut nach Berlin, um verzweifelt nach ihrer verschwundenen Tochter zu suchen, die inzwischen 18 Jahre alt sein müsste. Als Dreijährige wurde diese im Kinderwagen vor einem Berliner Supermarkt entführt, seitdem fehlt von dem Mädchen jede Spur. In der Streunerin Nina glaubt die Frau, endlich ihre Tochter wiedergefunden zu haben. Die als Waise aufgewachsene, schüchterne Nina, die in der jungen Diebin Toni gerade eine als Vorbild dienende Freundin gefunden hat, fühlt sich von den Nachstellungen der fremden Frau bedroht und gerät in ein Wechselbad der Gefühle. Aber auch die Französin ist sich ihrer Sache nicht sicher, zumal ihr nachgereister Mann ihre Vermutung als reines Hirngespinst betrachtet und seine Frau zurück nach Paris holen möchte. – Während Toni das Realitätsprinzip verkörpert, ganz in der Gegenwart lebt und die Gesetze der Straße unerbittlich für ihren eigenen Vorteil auslegt, sind Nina und die Französin Träumerinnen und in ihrer inneren Welt gefangen. Nina hat den Verlust ihrer unbekannten Mutter nie verkraftet, während die Französin nicht akzeptieren möchte, dass sie ihr Kind auf Dauer verloren hat. Wie Gespenster spuken die beiden als Vorstellung eines möglichen anderen Lebens in den Köpfen der jeweils anderen, wie Gespenster bewegen sie sich auch durch die Straßen von Berlin. Regisseur Christian Petzold ist für seinen lakonischen Inszenierungsstil bekannt, der innere Vorgänge ohne viele Worte zu visualisieren sucht. Auch hier lebt das Drama der beiden geheimnisvollen Frauen vor allem aus dem intensiven Spiel seiner Hauptdarstellerinnen und über die mit der Kamera präzise eingefangenen Beobachtungen ihrer Verhaltensweisen. Das wirkt manchmal etwas manieriert und bedeutungsschwer, zugleich aber wie ein Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.
Autor/in: Holger Twele, 01.09.2005