In seinem neuen Film gewährt Shaheen Dill-Riaz (
Eisenfresser, D 2007) ungewöhnliche Einblicke in die Welt der Koranschulen, sogenannter Madrasas, in seinem Heimatland Bangladesch. Das arabische Wort "Koran", erklärt der Regisseur gleich zu Beginn des Films im
Voice Over, bedeutet "Rezitation". Und so rezitieren die Schüler täglich über Jahre hinweg die 6.234 Suren des Korans. Es ist ein ermüdendes Auswendiglernen, denn den Sinn der arabischen Verse verstehen die Bengali sprechenden Kinder nicht. Doch für die Söhne armer Familien, die sich hier kostenlos zu einem "Hafiz", einem Koranlehrer, ausbilden lassen können, bietet der erfolgreiche Besuch einer Madrasa oft den einzigen Ausblick auf eine bessere Zukunft. Stehen sie jedoch die autoritäre Schulzeit nicht durch, sind ihre Berufschancen schlecht, denn säkulares Wissen wurde ihnen dabei nicht vermittelt.
Trotz des Bilderverbots ist es Shaheen Dill-Riaz durch die Vermittlung eines Freundes gelungen, eine Dreherlaubnis in mehreren Koranschulen Bangladeschs zu erhalten. In Gesprächen mit den Schülern, ihren Eltern, Lehrern sowie Wissenschaftlern entfaltet sich das differenzierte Porträt einer traditionellen islamischen Institution, über die im Westen sehr wenig bekannt ist, die jedoch weltweit zunehmend Zulauf erhält. Geschickt kontrastiert der ausgebildete Kameramann Dill-Riaz eindrucksvolle
Totalen auf die überfüllten Straßen der Hauptstadt Dhaka beim jährlichen muslimischen Pilgertreffen mit einfühlsamen Bildern aus dem Schulalltag, betrachtet in einer langsamen
Kamerafahrt die angestrengten Gesichter der Koranschüler, die unter den strengen Blicken ihres Lehrers in einem monotonen Singsang die Suren rezitieren. Eine zurückhaltender Kommentar, die beobachtende Kamera und die ruhige Erzählweise öffnen auch jungen Zuschauenden den erforderlichen Reflexionsraum, um die oft fremdartigen Eindrücke auf sich wirken zu lassen. Gerade für den Religions- und Sozialkundeunterricht lässt sich die wachsende Bedeutung der Koranschulen in einer islamischen aber auch westlichen Gesellschaft anhand des vorurteilsfreien aber durchaus kritischen Films gut diskutieren.
Autor/in: Ula Brunner, 03.06.2009
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