Eine junge Frau, ihr Mann und ihre kleine Tochter Lise leben vom mühsamen Verkauf von Second-Hand-Kleidung. Martha, die unter den Folgen einer traumatischen Kindheit leidet, ist die Unruhe in Person und kaum in der Lage, die Routine eines Familienlebens aufrechtzuerhalten. Sie geht in Bars, verbringt ihre Zeit an Spielautomaten, provoziert Männer, macht nichts im Haushalt und ist schroff zu ihrer Tochter. Mitunter bringt sie Lise unbewusst gar in lebensbedrohliche Situationen. Oft nur im letzten Moment kann der fürsorgliche Vater das Schlimmste verhindern. Unterdessen gerät Martha immer tiefer in die Depression und treibt ohne Hoffnung auf Rettung ihrem Untergang entgegen. – Mit Martha, Martha vollendet Sandrine Veysset ihre Trilogie zum Thema Kindheitswunden ( Gibt es zu Weihnachten Schnee?, Victor ). In allen drei Filmen sind die Mütter nicht im Stande, familiäre Konflikte zu bewältigen. Den radikalsten Bruch aber mit der traditionellen Frauen- und Mutterrolle, die Häuslichkeit, Wärme und Fürsorglichkeit impliziert, vollzieht Martha. In der französischen Provinz, wo die Menschen ohnehin wenig miteinander über ihre wahren Probleme reden, weil sie sich ihrer nicht bewusst sind oder sie verdrängen, gibt es offenbar keine psychologische Hilfe für die junge Frau. Sandrine Veysset lässt keinen Zweifel daran, dass Marthas schroffes, selbstzerstörerisches Verhalten Teil ihres Krankheitsbildes ist. Der bewusst provokante, mutige Film wird gewiss Diskussionen auslösen, weil es schwer fällt, sich mit der komplizierten Frauenfigur zu identifizieren. Dafür aber weckt die einfühlsame, beklemmende Studie ein Bewusstsein dafür, dass Mütter auch nur Menschen sind.
Autor/in: Kirsten Liese, 01.03.2003