Der vierzigjährige Muharrem ist ein schlichtes Gemüt und mit seinem bescheidenen Dasein als Gehilfe eines Sackhändlers zufrieden. Er lebt zurückgezogen im traditionellen Süleymaniye-Viertel Istanbuls im Haus seiner verstorbenen Eltern. Lediglich zu einem Sufi-Orden, den er täglich mehrmals zum Beten besucht, und nach dessen strengen Regeln er lebt, hat er regelmäßigen Kontakt. Seine stille Frömmigkeit fällt dem Oberhaupt des Klosters auf. Mit sanftem Druck bringt er den Strenggläubigen dazu, in den Orden umzuziehen und die Mieten für den beträchtlichen Immobilienbesitz der sektenartigen Gemeinschaft einzuholen. Muharrem bekommt eine Limousine mit Chauffeur, Handy und Anzüge gestellt, wodurch sein soziales Ansehen rapide steigt. Die neue Aufgabe führt ihn mitten in die vitale, kosmopolitische Metropole und konfrontiert ihn mit einer Welt, die sich nicht mit seinen Glaubensgrundsätzen vereinbaren lässt. Gelingt es dem sexuell Enthaltsamen noch, bei Schaufensterpuppen in Unterwäsche den Blick zu senken, so wird er in seinen Träumen immer häufiger vom "Satan" in Person einer verführerischen Frau heimgesucht. Auch muss er feststellen, dass der Orden einem sündigen, aber solventen Mieter den Vorzug vor einer armen, kinderreichen Familie gibt. Seine Schuldgefühle angesichts der ständigen Versuchungen von Sex, Geld und Macht lassen ihn unweigerlich zusammenbrechen.
Das eindringliche Psychodrama erzählt in kammerspielartigen Bildern exemplarisch von der Zerrissenheit eines Menschen, der in fundamentalistisch religiösen Strukturen ebenso geborgen wie gefangen ist. Dabei schafft er es weder intellektuell noch emotional, seine Glaubensgrundsätze in einer modernen Welt zu verwirklichen. In seinem ersten Kinofilm, der von Fatih Akin mitproduziert wurde, gelingt es Regisseur Özer Kiziltan, das brisante Thema des islamischen Fundamentalismus mit Respekt und Einfühlungsvermögen zu behandeln: Der große Erfolg des eher spröden Dramas in der Türkei zeigt, dass Muharrems Probleme vielen islamischen Gläubigen auf der Seele brennen. Für Schüler/innen liefert der kulturvermittelnde Ansatz des Filmes in den Bereichen Religion, Ethik und Sozialkunde fruchtbare Diskussionsimpulse.
Takva – Gottesfurcht gewährt nicht nur Einblicke in die halblegalen Zeremonien des Sufismus mit seinen tranceartigen Derwischtänzen, sondern stellt universelle Fragen nach den Herausforderungen und Grenzen eines religiösen Systems im modernen Leben. Insbesondere für westliche Zuschauende kann das Glaubensdrama zum Verständnis islamischer Werte beitragen, islamische Zuschauende kann es zum Hinterfragen eigener Wertesysteme anregen.
Autor/in: Birgit Roschy, 14.11.2007
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