Als Heilkundlerin, Seelsorgerin und Komponistin erfährt Hildegard von Bingen
(ca.1089-1179) seit Jahren eine Renaissance. Die Regisseurin Margarethe von Trotta beleuchtet in ihrem Filmporträt vor allem das praktische Wirken der Universalgelehrten, die es als Nonne und später als Äbtissin mit geistlichen Autoritäten aufnahm. Die Handlung beginnt mit der Aufnahme der achtjährigen Hildegard in die Klause eines Benediktinerklosters. Als ihre Erzieherin Jutta von Sponheim stirbt, wird sie zur Oberin gewählt. Im Kampf gegen die strengen Ordensregeln gerät Hildegard wiederholt mit Abt Kuno aneinander. Insbesondere übertriebene Askese und Selbstkasteiung verwirft sie als Gotteslästerung, sind doch in ihrer ganzheitlichen Lehre Körper und Seele untrennbar miteinander verbunden. Diese stützt sich jedoch nicht nur auf religiöse und medizinische Studien: Seit ihrer Kindheit wird Hildegard von Visionen heimgesucht. Zunächst selbst unsicher über deren göttliche Herkunft, erfährt sie schließlich die Anerkennung des Papstes als Seherin.
Von Trotta zeigt mit ihrem neuen Film wiederholt ihre Faszination für außergewöhnliche Frauenfiguren. Sie präsentiert die Titelheldin als starke Frau, deren Wirkung in der mittelalterlichen Männerwelt bis heute beeindruckt. Der Gefahr, sie als Ikone zu stilisieren, entgeht der Film trotz der Bemühung um Realismus nicht ganz. Episoden aus Hildegards Leben – Juttas Tod durch grausame Selbstkasteiung, später die Trennung von ihrer Lieblingsschülerin Richardis – werden zur Handlung
montiert und in ihrer Bedeutung wohl auch etwas überbetont. So wurde die tiefgläubige Visionärin von der katholischen Kirche schnell als Werbeträgerin erkannt; der im Film erhobene Vorwurf der "Ketzerei" erscheint unwahrscheinlich. Stilistisch ist der Film als
Kammerspiel angelegt: Schwaches
Kerzenlicht, die Langsamkeit der Bewegung und im Hintergrund oft kaum hörbare
Choräle – Hildegards Eigenkompositionen – stärken das Bild vom "dunklen Mittelalter". Mit der Gründung des Frauenklosters Rupertsberg scheint dieses beendet, hier tanzen die emanzipierten Nonnen in strahlendem Licht.
Insgesamt mag diese Inszenierung etwas bieder erscheinen. Dennoch eignet sich der Film als Einführung in mittelalterliche Denk- und Lebensweisen. Jene Zeit, in der der Glaube die Menschen einte, sich auch das politische Leben in Klöstern konzentrierte und die Kirche das alleinige Bildungsmonopol besaß, wirkt heute sehr fern und darum interessant. Zudem lässt sich hinterfragen, welches Welt- und Glaubensbild Hildegard von Bingen vertritt und wie sich ihr Selbstverständnis als Frau gestaltet.
Autor/in: Philipp Bühler, 23.09.2009
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