Im Preußen des ausgehenden 19. Jahrhunderts heiratet die 17-jährige Effi Briest auf Drängen ihrer Eltern den bedeutend älteren Baron von Innstetten. Die lebenshungrige junge Frau folgt ihrem konservativen Gatten in einen abgelegenen Küstenstrich Hinterpommerns. Innstetten verfolgt ehrgeizig seine politische Karriere und hat für Effi, die sich fernab der Heimat langweilt und verloren fühlt, wenig Verständnis. Sie flüchtet sich für einige Wochen in eine stürmische Affäre mit Major Crampas, einem Regimentskameraden ihres Mannes. Sechs Jahre später erfährt von Innstetten zufällig von dem Seitensprung seiner Frau und tötet den ehemaligen Rivalen im Duell. Effi, verstoßen von Mann und Familie, steht vor der Herausforderung, jenseits der Konventionen ein neues Leben zu wagen.
Theodor Fontanes facettenreiches preußisches Gesellschafts- und Sittenbild aus dem Jahre 1895 wurde bereits mehrfach fürs Kino verfilmt, zuletzt 1974 in der Regie von Rainer Werner Fassbinder mit Hanna Schygulla in der Hauptrolle. Eine weitere Adaption ist also immer auch ein Wagnis. Hermine Huntgeburths
Effi Briest muss allerdings den Vergleich mit den Vorgängern nicht scheuen, wenn sie auch das Original in einigen Punkten verändert hat – unter anderem wurde der sozialpolitische Diskurs weitgehend ausgespart. Die größte künstlerische Freiheit betrifft jedoch das Ende des Dramas: Während Effi bei Theodor Fontane schließlich an den Folgen ihres Fehltritts zu Grunde geht, wird sie bei Huntgeburth aus der Krise innerlich gestärkt hervorgehen. Ins Zentrum rückt der Emanzipationsprozess dieser emotional und sinnlich ausgehungerten Frau, gefangen zwischen gesellschaftlichen Zwängen und dem Wunsch nach Selbstentfaltung. Weite Küstentotalen in hartem Kontrast zur bedrückenden Düsternis des Innstettischen Hauses fassen Effis Gefühlskonflikte in ausdrucksstarke Bilder. Doch es ist vor allem Julia Jentschs Wandlungsfähigkeit zu verdanken, dass Effi in all ihrer Widersprüchlichkeit glaubhaft bleibt als eine Frau, die ihr Schicksal schließlich – anders als im Roman – selbst in die Hand nimmt. Neben einem Vergleich zwischen Literaturvorlage und filmischer Interpretation finden sich in
Effi Briest fruchtbare Diskussionsansätze für den gesellschaftlichen Umbruch und das im Wandel begriffene weibliche Rollenverständnis im Preußen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Zudem bietet gerade die emanzipatorische Nuancierung zeitübergreifende moderne Anknüpfungspunkte für den Unterricht: Themen wie der Wunsch nach Selbstentfaltung, der Konflikt zwischen Gesellschaft und Individuum, aber auch bigotter Moralismus oder arrangierte Ehe haben auch im 21. Jahrhundert nicht an Aktualität verloren.
Autor/in: Ula Brunner, 11.02.2009
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